Benz oder Brilliance

Die deutsche Solarindustrie fürchtet die oft billigere Konkurrenz aus Asien. Aber der Weg von Modulen aus dem fernen Osten auf deutsche Dächer ist weit. Und bei etlichen Kunden steht trotz sinkender Einspeisevergütung „made in Germany“ weiter hoch im Kurs…

Wer zurzeit bei deutschen System- und Handelshäusern die Verantwortlichen für Vertrieb oder Marketing ans Telefon bekommen will, braucht Geduld. Trotz des hartnäckigen Winterwetters brummt das Geschäft: Der Anspruch vieler Photovoltaikkäufer, ihre Anlagen noch vor der geplanten Kürzung der Einspeisevergütung in Betrieb nehmen zu können, setzt die Lieferketten unter Spannung. Der These, dass deutsche Kunden in dieser Situation Module gleich welcher Herkunft akzeptieren und ein möglichst niedriger Watt-Preis ohnehin das beste Verkaufsargument ist, mag sich Jochen Schnabel jedoch nicht anschließen. „Unsere Kunden wollen vor allem den Benz“, sagt der Sprecher des Photovoltaik-Großhändlers Frankensolar. Zum einen, weil viele Käufer sich lieber ein Photovoltaikmodul mit deutschem Markennamen aufs Dach schrauben lassen als eines, dessen Hersteller ihnen nichts oder nur wenig sagt. Und zum anderen: „Es gibt auch bei Photovoltaikanlagen einen gewissen Neidfaktor. Wenn der eine Nachbar oder Kollege stolz von seinen Schott-Modulen erzählt, will der andere sich vielleicht nicht unbedingt als Yingli-Kunde outen.“

Egal ist der Preis aber nicht. „Das Etikett ‚made in Germany‘ trägt vielleicht Mehrkosten von 20 bis maximal 30 Cent pro Watt“, sagt René Médawar, Vertriebsleiter der Kölner Energiebau GmbH. Für größere Zugeständnisse ist aus seiner Sicht das Markenempfinden und die Unterscheidbarkeit der Qualitäten noch nicht ausreichend entwickelt. „Auf den ersten Blick sehen Module alle ziemlich gleich aus – und die Optik erlaubt keine Rückschlüsse zum Beispiel auf die Laminierzeiten oder die verwendeten Komponenten.“

Der Kostenvorteil chinesischer Hersteller gegenüber den europäischen Konkurrenten liegt nach einer Studie von Goldman Sachs allerdings nicht bei 30 Cent, sondern bei 30 Prozent. Der Transport um die halbe Welt verringert diese Differenz nur geringfügig. Je nach Modul passen etwa 110 bis 150 Kilowatt in einen 40-Fuß-Container, wie er in der Frachtschifffahrt üblich ist. Die Frachtrate für einen solchen Container für die Strecke von China zum Seehafen Hamburg liegt aktuell bei gerade mal 4.400 Euro – Abfertigung, Importabwicklung und Versicherung inklusive. Damit erhöht der Transport den Wattpreis chinesischer Module nur um bis zu vier Cent.

Und beim Stichwort Qualität gehen die Meinungen weit auseinander. Für einige deutsche Großhändler oder Systemhäuser gehört es zur Geschäftspolitik, keine Module aus China in ihr Sortiment aufzunehmen, beispielsweise bei AS Solar. „Wir legen Wert auf Qualitätsführerschaft, da ist dafür kein Platz“, betont Marketing-Leiterin Meike Koithahn. Eine ganz andere Sicht der Dinge hat Holger Schulteis, Geschäftsführer der auf die Vermittlung von Modulen aus China spezialisierten Sonnenstand Solar GmbH in Hadamar. „Wir spüren deutlich, dass Kunden in Deutschland die Qualität chinesischer Photovoltaikwaren mehr und mehr anerkennen oder als gleichwertig einstufen. Entsprechend steigt die Nachfrage.“

AS Solar hingegen kann im Moment kein wachsendes Interesse an chinesischen Produkten feststellen. Allerdings bietet das Unternehmen seinen Kunden eine andere asiatische Alternative: in Indien gefertigte Module von Solar Semiconductor. Das US-Unternehmen tut, was auch viele deutsche Firmen nicht lassen: im (oft billigeren) Ausland produzieren. Die Mainzer Firma Schott Solar zum Beispiel stellt einen Teil ihrer Module in Tschechien her, Q-Cells aus Bitterfeld fertigt unter anderem in Malaysia.

Johann Doniga, dessen Firma Techprov seit Jahren auf Direktimport und Vertrieb technischer Artikel hauptsächlich aus China spezialisiert ist, kann die in Deutschland laufende Qualitätsdebatte daher nicht nachvollziehen. „Die chinesische Solarindustrie ist wie eine Berglandschaft: Die prominenten Gipfel kennt jeder, sie werden als eigenständige Label auch entsprechend vermarktet. Und in den Tälern gedeiht prächtig die OEM-Produktion, also die Fertigung im Auftrag auch deutscher Firmen.“ China sei ein technisch hoch entwickeltes Land, „viele Produkte sind top“. Das sei bei westlichen Kunden längst angekommen. Doniga zufolge stehen zwar bei Solarparks und anderen Projekten, denen eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit sicher ist, für die Käufer statt des Preises in der Regel Qualität und Herkunft der Module im Vordergrund. „Wegen der vielen guten Erfahrungen mit chinesischen Produkten, auch in anderen Industriezweigen, muss das aber keineswegs zwangsläufig ‚made in Germany‘ bedeuten.“

Die deutsche Automobilindustrie hat es da leichter – zum einen fallen die Crashtests der chinesischen Konkurrenz in der Regel verheerend aus, zum anderen kennt kaum ein deutscher Konsument die entsprechenden Hersteller wie zum Beispiel Brilliance. Außerdem erreichen die Automobilhersteller die Verwender ihrer Produkte auch über einen Vertriebsweg, den in der Solarindustrie nicht viele einschlagen: den Verkauf ab Werk, am Handel vorbei. David Muggli nutzt diesen Weg inzwischen aus Prinzip. Bei seiner Zülpicher Priogo AG kommen grundsätzlich nur Produkte zum Einsatz, die er direkt beim Hersteller bezieht. „Nicht notwendige Stufen auf dem Weg vom Sand zur fertig installierten Anlage kann sich die Branche nicht mehr leisten“, sagt Muggli. „Ohne Hersteller: keine Anlagen. Ohne Handwerker: keine Montage.“ Die Stufen dazwischen und deren zukünftige Geschäftsperspektiven sieht er eher kritisch. „Es kann nur überleben, wer in der Wertschöpfungskette auch eine Existenzberechtigung hat.“

Aber auch bei Herstellern und Handwerkern sind aus Mugglis Sicht neue Wege gefragt. „Die Hersteller müssen angesichts der sinkenden Einspeisetarife ihre Prozesse so optimieren, dass sie die Preise senken können. Und für die Solarteure gilt: wachsen oder sterben.“ Muggli beschreibt die Zukunft der Photovoltaikbranche als einen Markt der Spezialisten. „Viele Handwerker wie Dachdecker oder Elektriker, die derzeit auch Photovoltaik anbieten, werden zu ihren ursprünglichen Gewerken zurückkehren. Andere werden sich zusammenschließen oder aus eigener Kraft so lange wachsen, bis sie stark genug sind, um mit Banken und Herstellern auf Augenhöhe zu verhandeln.“

Denn diese Augenhöhe setzt eine gewisse Größe voraus. Laut Jochen Schnabel kommt es zwar bereits jetzt vor, dass Installateure Module direkt ab Werk kaufen, um zumindest bei dieser einen Systemkomponente günstigere Einkaufspreise zu realisieren – allerdings müssten sie dafür oft mit anderen Solarteuren kooperieren. Außerdem sei die Umgehung des Großhandels kein Trend. „Für die meisten Handwerker ist der Mehrwert, den der Einkauf über den Großhandel bedeutet, wichtiger.“ Neben Schulungen, Produkttests sowie einer herstellerübergreifenden und daher optimalen Konfektionierung der Anlage nennt Schnabel hier vor allem die Funktion des Großhandels als Rückendeckung für die Installateure – als Zwischenlager, für Finanzierungen oder für die Durchsetzung von Garantieansprüchen. „Ein Hersteller ist immer von seinen Produkten überzeugt“, meint auch André Schwarz, Geschäftsführer des Bundesverbandes für Groß- und Außenhandel (BGA). „Großhändler haben die Marktübersicht und können Alternativen aufzeigen.“ Und die Solarteure besser betreuen: „Wir haben für die Installateure ein Rundum-sorglos-Paket entwickelt“, sagt Meike Koithahn. Besonders die Nähe zu den Kunden zahle sich aus, bei der Marketingunterstützung ebenso wie bei der hauseigenen Akademie oder dem flächendeckenden Außendienst.

Für René Médawar entscheidet ebenfalls der angebotene Mehrwert über die Zukunft des Großhandels. „Es ist eindeutig mehr Leistung nötig, als bloß das Produkt durchzureichen.“ Die Mehrleistung bestehe unter anderem darin, dem Kunden Versorgungs- und damit Planungssicherheit zu geben – „wir liefern pünktlich und fertig konfektioniert auf die Baustelle, das schafft kein Hersteller“ –, oder auch darin, mit eigenen Produkten einen Beitrag zu einem neuen Systemstandard zu leisten. Energiebau beispielsweise sei seit Jahren mit seinem Montagesystem Lorenz erfolgreich. Außerdem: „Der direkte Einkauf beim Hersteller ist nicht unbedingt ein Weg, unter dem Strich tatsächlich die Kosten zu senken – auch Zeit ist Geld“, sagt Médawar. „Der Erfolg eines Installationsbetriebes liegt unserer Erfahrung nach in der Konzentration auf die Kernkompetenzen: Akquisition, Installation, Service. Als Installateur ist man schließlich kein Marktforscher, kein Gestellhersteller, kein Spediteur und vor allem keine Bank.“

Aber vielleicht ein Importeur? Laut Holger Schulteis kommt es vor, dass große Installateure und Projektierer versuchen, Module direkt bei Herstellern in Asien einzukaufen. Damit begeben sie sich jedoch häufig auf unbekanntes Terrain. Oft stellt Schulteis fest, dass in China Probleme anders gelagert sind als im europäischen oder deutschen Geschäftsumfeld, insbesondere was Kommunikation und technisches Selbstverständnis angeht. „Qualitätsanforderungen werden zum Teil unterschiedlich interpretiert. Auch Vertrags- und Rechtssicherheit sind in China anders als in Deutschland, und Lieferverträge können zu unterschiedlichen Umsetzungsschwerpunkten führen.“ Beim Einkauf über den deutschen Großhandel habe der Installateur einen deutschen Vertragspartner mit deutschem Geschäftsgebaren, einfacher Kommunikation, klarer Rechtslage und Haftung. „Klar, dass sich ein Großhändler diesen Mehrwert auch vergüten lassen muss, und so liegen die Preise dort höher als bei von uns vermittelten Direktimporten.“

Vermittler von Modul-Importen können die Risiken reduzieren – wenn sie kompetent sind. „Ein erfahrener Vermittler sollte schon mindestens drei Jahre im Geschäft sein und mehr als 200 Container vermittelt haben“, meint Schulteis. „Er sollte außerdem viele chinesische Lieferanten besucht und geprüft haben, um die Fertigungskompetenz eines Herstellers einschätzen zu können – und auch sein Geschäftsgebaren zum Beispiel im Problem- oder Garantiefall.“ Leistungen, zu denen Newcomer oder auch anonyme Online-Marktplätze häufig nicht in der Lage seien. Andererseits: Wer bei chinesischen Herstellern einkauft, muss nicht auf so wichtige Sicherheiten wie Gewährleistung oder Garantie verzichten und bewegt sich auch nicht in einem rechtsfreien Raum. Im Idealfall sorgt ein deutscher Jurist im Vorfeld für einen ebenso wasserdichten wie detaillierten Vertrag. Aber als Mindeststandard greift bei grenzüberschreitendem Handel das UN-Kaufrecht mit seinen Garantie- und Gewährleistungsvorschriften.

Auch Zollformalitäten oder Logistik sind keine unüberwindbaren Hürden. Der deutsche Logistik-Riese Dachser beispielsweise bedient den Markt inzwischen über ein Kompetenzzentrum Erneuerbare Energien; es sei kein Problem, „weltweit effiziente Warenströme ab Rampe der Produktionsstätte über die Zusammenführung der Komponenten bis hin zur bedarfsgerechten Anlieferung am Montageort“ zu erreichen. Aber nicht jeder Hersteller zeigt sich kooperativ, wenn es darum geht, den Großhandel zu umgehen. „Direktvertrieb ist für uns kein Weg, unabhängig von den vielen praktischen Gründen, die dagegen sprechen“, sagt beispielsweise Rebecca Jarschel von Yingli in München. „Wir wollen schließlich unseren langjährigen Vertriebspartnern nicht den Markt wegnehmen.“

Ist der Hersteller zugänglich, wird die nächste Hürde sichtbar. „Die Mindestabnahmemenge ist ein Container, und selbst ein Container ist wenig“, sagt Holger Schulteis. Und auch Johann Doniga wundert sich über die wachsende Schar deutscher Photovoltaikinteressenten, die angesichts der aktuellen Diskussion um die Kürzung der Einspeisevergütung die Module für ihr Haus- oder Scheunendach „mal eben“ im Reich der Mitte erstehen wollen. „Denen muss ich immer erklären, dass ein Frachtschiff für die Strecke gut vier Wochen braucht und der Transport von ein paar Modulen auf einer Palette nicht sinnvoll ist – Paletten sind Stückgut, das ist umständlich und dauert noch länger als der Containertransport.“

Die meisten dieser Schnäppchenjäger haben erfahren, dass die Provisionen der Vermittler deutlich niedriger sind als die Spannen, die der Großhandel auf den Modulpreis aufschlägt. Wie hoch diese Spannen tatsächlich sind, ist nicht zu erfahren. 20 bis 30 Prozent schätzt Schulteis, zehn bis 20 Prozent meint Muggli – und Jochen Schnabel nennt beide Schätzungen „zu hoch“. Die Provisionen der Vermittler jedenfalls platzieren Schulteis und Doniga übereinstimmend „im niedrigen einstelligen Prozentbereich“.

Von den in Teilen der deutschen Photovoltaikbranche erschallenden Rufen nach Importbeschränkungen oder Schutzzöllen halten die beiden naturgemäß wenig. „Ohne die gewaltigen Größenvorteile der chinesischen Produktionskapazitäten hätte die Solarenergie niemals so viele Installationen oder so niedrige Anlagenpreise erreicht“, sagt Schulteis. „Und genau darum geht es doch, wenn wir mit dieser umweltgerechten Energieerzeugung schnell einen wesentlichen Anteil an der Stromversorgung erreichen und wettbewerbsfähig sein möchten. Davon profitieren dann letztlich auch Installateure und Projektierer – je mehr Nachfrage nach Anlagen, umso mehr Geschäft.“

Diese Position vertritt auch der BSW-Solar. Zudem exportiert Deutschland dem Verband zufolge einen großen Teil der im Land hergestellten Photovoltaikprodukte, Tendenz steigend. EuPD Research identifizierte die deutsche Photovoltaik in einer Studie aus dem Herbst 2009 ebenfalls als „Exportschlager“. Allerdings verfügen weder das Statistische Bundesamt noch das Bundeswirtschaftsministerium noch der Zoll über offizielle Zahlen, die die häufig publizierte These von Deutschland als Solar- Nettoexporteur stützen könnten.

„Die aktuelle Situation in Deutschland spielt den chinesischen Herstellern natürlich in die Hände“, sagt René Médawar – nicht nur mit Blick auf die in den nächsten Monaten wahrscheinlich bevorstehende Kürzung der Solarförderung, sondern auch auf den nächsten regulären Degressionsschritt im Januar 2010. Energiebau und die meisten anderen Händler sind trotzdem weit davon entfernt, sich von Modulen „made in Germany“ zu verabschieden. „Wir wollen schließlich auf dem deutschen Markt weiterhin deutsche Produkte sehen.“