Ein Feigenblatt

Zu einer Entlastung der Stromkunden sollen die geplanten Änderungen bei Photovoltaikförderung und Grünstromprivileg führen. Aber der Strompreis hängt nicht von der Höhe der viel geschmähten EEG-Umlage ab – und diese nicht allein von den Vergütungssätzen…

Als im Januar Norbert Röttgen und Günther Cramer gemeinsam die politische Bühne betraten, war ihnen die Aufmerksamkeit des Publikums sicher. Schließlich verkündeten der Bundesumweltminister und der Präsident des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW-Solar) im Schulterschluss ihre Pläne für eine weitere Absenkung der Solarförderung – ein „einmaliger Vorgang“, wie nicht nur Röttgen konstatierte. Einmalig vielleicht, aber nicht verwunderlich. Denn seit Oktober 2010, als zunächst die Erhöhung der EEG-Umlage auf 3,53 Cent und in der Folge die Strompreiserhöhungen etlicher Energieversorger Schlagzeilen machten, sehen sich Branche wie Verband massivem öffentlichen Unmut ausgesetzt. In den Köpfen der meisten Stromkunden ist die EEG-Umlage gleichbedeutend mit der Förderung der Photovoltaik – einer Branche, die auch noch seit Jahren Rekordzuwächse verkündet und mit sonnigen Renditen wirbt. Mehr und mehr gerät die Photovoltaik so in Misskredit, obwohl die EEG-Vergütung natürlich allen erneuerbaren Energien zugute kommt und diese zudem nur der Sündenbock für den jüngsten Anstieg der Strompreise sind.

Sowohl Verbraucherverbände als auch viele Wissenschaftler und Politiker sehen die Akzeptanz des EEG und speziell der Solarförderung gefährdet, sollte sich die EEG-Umlage auf den Rechnungen der Stromkunden weiter erhöhen. Der gemeinsame Vorstoß von Politik und Solarwirtschaft ist ein Versuch, diese Entwicklung zu verhindern. Kernpunkte sind eine vorgezogene Absenkung der Vergütungstarife, ein zusätzlicher Degressionsschritt in Abhängigkeit vom Marktvolumen sowie die Erhöhung der Umlage für Unternehmen, die das Grünstromprivileg nutzen, von null auf zwei Cent je Kilowattstunde. „Hierdurch wird einer im zweiten Halbjahr 2011 zu erwartenden expansiven Marktentwicklung entgegengewirkt und so eine Begrenzung der Kosten der Solarförderung erreicht“, heißt es in der Pressemitteilung des Ministeriums, und das „im Interesse der Stromverbraucher“. Allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass die Energieversorger ein Sinken der EEG-Umlage tatsächlich an die Verbraucher weitergeben würden: Die in den letzten Jahren gesunkenen Großmarktpreise haben die Unternehmen schließlich auch zur Verbesserung ihrer Renditen und nicht zur Entlastung ihrer Kunden genutzt.

Und es gibt ein weiteres Problem: Die Höhe der EEG-Umlage hängt von vielen Faktoren ab, nicht allein von der Höhe der Vergütungssätze. Das sollte allen Beteiligten sattsam bekannt sein, immerhin sind diese Vergütungssätze seit Jahren im Sinkflug. Das zeigen aber auch die auf www.eeg-kwk.net zugänglichen Zahlen der Übertragungsnetzbetreiber. Zwei Beispiele: Im Vergleich zu 2009 stieg 2010 die EEG-Strommenge um gut 20 Prozent, die EEG-Vergütung um nur 18 Prozent – aber die EEG-Umlage um 56 Prozent. Und von 2010 zu 2011 erhöhte sich die Strommenge weiter um neun Prozent, die Vergütung um 36 Prozent – und die Umlage um 75 Prozent. BSW-Chef Günther Cramer ist trotzdem optimistisch: „Die flexible Förderanpassung trägt nun maßgeblich zur Absicherung unserer Ziele bei, einen Ausbau von 52 bis 70 Gigawatt installierter Photovoltaikleistung bis 2020 zu erreichen und dabei die Umlage für Solarstrom auf rund zwei Cent je Kilowattstunde zu begrenzen.“ In diesem Jahr fließen von den 3,53 Cent EEG-Umlage 1,66 Cent in die Photovoltaik; selbst die von Cramer postulierte Begrenzung könnte also insgesamt noch zu einem Anstieg der Umlage führen.

Die Berechnung der EEG-Umlage, die die Übertragungsnetzbetreiber seit 2009 Mitte Oktober jedes Jahres für das Folgejahr vorlegen müssen, ist eine Operation mit mehreren Variablen. Der erste Schritt ist die Berechnung der sogenannten Differenzkosten. Die vier Übertragungsnetzbetreiber schätzen – gestützt auf Prognosen unabhängiger Gutachter – die im jeweiligen Jahr anfallende Menge EE-Strom und errechnen daraus – gestützt auf das EEG – die insgesamt fällig werdenden Vergütungen; davon ziehen sie den Erlös ab, den sie für diese Strommenge an der Leipziger Strombörse EEX erwarten. Beim zweiten Schritt, der eigentlichen Berechnung der EEG-Umlage, wird die dabei entstehende Differenzsumme durch die erwartete umlagepflichtige Strommenge geteilt.

Schon beim ersten Schritt gibt es Unwägbarkeiten. Die Vergütungssätze stehen fest, nicht aber die EEG-Strommenge: Niemand weiß, ob das Jahr sonnig wird oder verregnet, stürmisch oder ruhig, niemand weiß, wie viele Kapazitäten zugebaut werden. Damit ist die Höhe der EEG-Vergütungssumme nur ein Schätzwert. Auch der an der EEX erzielte Erlös ist schwer zu prognostizieren. Zum einen, weil die Erneuerbaren selbst wegen des Merit-Order-Effekts den Strompreis drücken – je mehr Strom aus erneuerbaren Quellen an die Börse kommt, umso weniger wird Strom aus teurer produzierenden Kraftwerken nachgefragt und umso stärker sinkt der sogenannte Markträumungspreis. Zum anderen, weil der Strompreis von der gesamten Stromnachfrage abhängt – während der Finanz- und Wirtschaftskrise beispielsweise war diese deutlich geringer als in den Vorjahren, der Strompreis sank. Und beim zweiten Schritt setzen sich die Unwägbarkeiten fort: Die Strommenge, auf die die Differenzsumme zur Berechnung der EEG-Umlage verteilt wird, ist ebenfalls konjunkturabhängig. Denn der maßgebliche Letztverbrauch hängt sowohl von der gesamten Nachfrage nach Strom ab als auch von der Menge, die stromintensive Industrien verbrauchen; schließlich bezahlen diese als sogenannte privilegierte Letztverbraucher nur eine EEG-Umlage von 0,05 Cent je Kilowattstunde. Konsequenz: Die Wirtschaftslage – mit ihrem Einfluss auf Strommengen und Börsenpreise – ist für die EEG-Umlage unter Umständen von größerer Bedeutung als die Einspeisevergütung.

Dass die jetzt von Bundesumweltministerium und BSW-Solar angeschobenen Änderungen bei der Solarförderung und beim Grünstromprivileg aber zumindest das Potenzial haben, die EEG-Umlage zu entlasten, ist unstrittig. Schließlich werden schon 2011 die Vergütungssätze für Anlagen, die nach dem 1. Juli beziehungsweise dem 1. September ans Netz gehen, niedriger ausfallen als bisher geplant; spätestens am 1. Januar 2012 folgt der nächste Degressionsschritt. Hinzu kommen die Effekte des veränderten Grünstromprivilegs: Zurzeit sind Elektrizitätsversorger von der EEG-Umlage komplett befreit, wenn der von ihnen gelieferte Strom mindestens 50 Prozent EEG-Strom umfasst. Die Umlagebefreiung gilt allerdings für ihr gesamtes Stromportfolio, also auch für den Strom, der nicht aus erneuerbaren Quellen stammt. Die ab 1. Juli geltende neue Regelung führt nicht nur zu Mehreinnahmen, sondern verlangsamt eventuell auch das Wachstum dieses Segments – mit entsprechenden Folgen für die Höhe des nichtprivilegierten Letztverbrauchs. Jürgen Maaß, Sprecher des Bundesumweltministeriums, ist daher „zuversichtlich“, dass es zumindest zu keinem weiteren Anstieg der EEG-Umlage kommt. Allerdings: „Hier eine Zahl zu nennen, wäre pure Spekulation.“ Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) hat zu der Frage vorsichtshalber überhaupt keine Meinung.

Für Matthias Reichmuth ist der Zubau von EE-Kapazitäten im Jahr 2011 der eigentlich spannende Punkt. „Für die Entwicklung der EEG-Umlage wird neben den Vergütungssätzen entscheidend sein, ob die Reduzierung der Solarförderung zu einer Verlangsamung des Photovoltaikzubaus führt“, sagt der Projektleiter am Leipziger Institut für Energie, das im Auftrag der Übertragungsnetzbetreiber die letzten Prognosen zu Stromeinspeisung und EEG-Vergütung erstellte. „Wenn es 2011 vor jedem Degressionsschritt zu einer deutlichen Bugwelle beim Zubau kommt, kann es sein, dass die EEG-Vergütungssumme für Photovoltaikanlagen kaum niedriger ausfällt als bisher prognostiziert.“

2010 gab es solche Bugwellen. Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, macht dafür vor allem „das Hin und Her der schwarz-gelben Koalition“ verantwortlich. „Fast ein Jahr wurde gestritten, und beinahe wöchentlich wurden neue Szenarien für den Kahlschlag bei der Solarförderung diskutiert. Die Folge: Alle Investoren wollten so schnell wie möglich ihre Anlagen fertig bauen. Das Ergebnis: Ein gigantischer Zuwachs an neuen Solaranlagen und eine deutliche Steigerung der EEG-Umlage.“ Statt einer kontinuierlichen Entwicklung des Photovoltaikausbaus habe es, so Fell, eine „Endzeit-Panik“ gegeben. Ob sich diese Endzeit-Panik samt Bugwellen 2011 fortsetzt, wird wahrscheinlich mehr von der Diskussion um die zum 1. Januar 2012 anstehende EEG-Novelle abhängen als von den kurzfristig greifenden Änderungen der Solarförderung. Und für das gesellschaftliche und politische Klima, in dem diese Diskussion stattfinden wird, ist die genaue Höhe der immerhin milliardenschweren Solarförderung unter Umständen weniger wichtig als die prognostizierte Entwicklung der in Cent ausgewiesenen EEG-Umlage auf den Rechnungen der Stromkunden.

Immerhin spricht abgesehen vom gedrosselten Zufluss in den Fördertopf einiges dafür, dass sich die Stromkunden – und Wähler – nicht auf die 4,4 Cent EEG-Umlage einstellen müssen, die die Übertragungsnetzbetreiber in einer Mitte November vorgelegten ersten Berechnung für das Jahr 2012 ankündigen. Diese Prognose beruht unter anderem auf den Prämissen für das Jahr 2011, wozu ein Photovoltaikzubau von jeweils 9,5 Gigawatt in den Jahren 2010 und 2011 gehört. Jüngsten Zahlen der Bundesnetzagentur zufolge wurde dieses Volumen 2010 jedoch wahrscheinlich nicht erreicht, für das Jahr 2011 werden in aktuellen Schätzungen für den deutschen Markt eher Zahlen zwischen fünf und acht Gigawatt genannt – was außerdem dafür spricht, dass schon die aktuelle EEG-Umlage von 3,53 Cent eventuell zu hoch ist. Der nichtprivilegierte Letztverbrauch wiederum könnte höher ausfallen als veranschlagt, da die sich erholende Konjunktur den Strombedarf insgesamt treibt und das Grünstromprivileg an Attraktivität verliert. Und auch an der Strombörse tut sich was: Zum einen hat die Bundesnetzagentur das Risiko negativer Preisspitzen weiter begrenzt, zum anderen könnte ein Anstieg der Stromnachfrage den Preis und damit die Erlöse erhöhen; beides entlastet die Differenzkosten.

Das Kabinett hat die Pläne zur vorgezogenen Kürzung der Solarförderung und zur Änderung des Grünstromprivilegs inzwischen abgesegnet und eine entsprechende Empfehlung an die Fraktionen im Bundestag ausgesprochen. Die Fraktionen sollen diese Empfehlung nun in den Gesetzgebungsprozess einbringen, damit die Neuregelungen pünktlich zum Juli 2011 in Kraft treten können. Trotz dieser Bewegungen auf der politischen Bühne bleibt jedoch vorerst unklar, wie sich die gesellschaftliche Akzeptanz der Solarförderung, die EEG-Umlage und nicht zuletzt der Strompreis tatsächlich in Zukunft entwickeln. Ein Problem, das es schon zu Brechts Zeiten gab: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen/Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

EEG-Strukturen
Jahr EEG- Strommenge (ohne Direktverm.) in GWh EEG- Vergütung (ohne vermiedene Netzentg.) in Mrd. € EEG-Umlage auf nicht- privil. Letztverbrauch in €-Cent EEG- pflichtiger Letztverbrauch gesamt in GWh Privil. Letztverbrauch in GWh Nicht- privil. Letztverbrauch in GWh
2011 97995 16,721 3,53 482543 74730 383.149*
2010 90231 12,333 2,05 468481 67886 400595
2009 74942 10,45 1,31 466055 65023 401032
2008 71711 8,786 1,16 493506 77991 415515
2007 67010 7,593 1,03 495040 72050 422990
2006 51553 5,606 0,88 495203 70161 425042
2005 44004 4,398 0,69 491177 63474 427703
2004 38511 3,577 0,51 487627 36865 450762
Quellen: ÜNB, BMU, *erstmals zusätzlich bereinigt um Grünstromanteil (24.664 GWh)