Seltene Erden: Der China-Faktor

Seltene Erden sind ein Schlüsselelement vieler Hightech-Produkte. Dass China bei diesen Rohstoffen über ein ähnliches Monopol verfügt wie die Opec beim Öl, macht Unternehmern zunehmend Sorgen…

„Im Mittleren Osten gibt es Öl, in China Seltene Erden.“ Mit diesem Satz von Deng Xiaoping wirbt das chinesische Industriegebiet Baotou in der Inneren Mongolei um Investoren. Dem damaligen Staatschef war offenbar schon 1992 klar, was viele Hightech-Unternehmen weltweit gerade im Schnellkurs lernen: Seltene Erden sind für moderne Industriegesellschaften ebenso wichtig wie das im öffentlichen Bewusstsein viel prominenter verankerte Erdöl. Und in der aktuellen Marktsituation verfügt China tatsächlich über ein ähnliches Monopol wie die Opec.

Seltene Erden sind Zutaten, ohne die es viele Technologien gar nicht oder zumindest nicht mit der notwendigen Leistungsstärke geben würde: keine Windkraftanlagen oder Elektroautos ohne Dysprosium und Neodym, keine Darstellung der Farbe Rot auf LCD-Monitoren ohne Yttrium und Europium, keine hocheffizienten Leuchtmittel ohne Terbium. „Ohne Seltene Erden wäre die derzeitige Energieeffizienz von Wind oder Hybridmotoren nicht zu haben: Diese Stoffe ermöglichen eine maximale magnetische Wirkung in Kombination mit hoher Korrosionsbeständigkeit“, erklärt beispielsweise Christoph Bolliger, Chef des Schweizer Zulieferers Bomatec.

Anders als ihr Name vermuten lässt, sind Seltene Erden Metalle und geologisch relativ häufig; Lagerstätten finden sich von Kanada und Brasilien über Madagaskar und Russland bis Indien und Australien. Und in China: Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und der geologische Dienst der USA (USGS) schätzen übereinstimmend, dass das Reich der Mitte über ein knappes Drittel aller weltweiten Reserven verfügt. Aufgrund billiger Fördermethoden – Experten kritisieren seit Jahren, dass Chinas Bergbauindustrie weitgehend auf Maßnahmen für Umweltschutz und Arbeitssicherheit verzichtet – hat das Land die Förderung der Seltenen Erden auch in Zeiten niedriger Marktpreise aufrecht erhalten und so den Grundstein gelegt für das Quasi-Monopol, was dem Rest der Welt zunehmend Sorgen macht.

Aktuellen USGS-Zahlen zufolge kamen 2009 von knapp 124.000 weltweit geförderten Tonnen Seltene Erden 120.000 Tonnen aus China, bei einigen Metallen wie den als besonders knapp geltenden Stoffen Dysprosium und Terbium liegt der China-Faktor sogar bei 99 Prozent. Ein Problem, da der größte Teil der Fördermenge gar nicht erst auf den Weltmarkt gelangt: Exportbeschränkungen und -zölle verhindern hohe Ausfuhren, denn für die chinesische Regierung hat die Versorgung der eigenen Industrie Priorität. Da diese ebenso wächst wie die weltweite Nachfrage nach den begehrten Rohstoffen, scheint ein Engpass vorprogrammiert, zumal China Anfang Februar beschlossen hat, zusätzlich eine eigene strategische Reserve aufzubauen.

Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) und das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln haben das Ausmaß der Probleme bei der Versorgung mit Metallen und Mineralien untersucht. Demnach mache der Umsatzanteil der Seltenen Erden an den im Freistaat hergestellten Produkten durchschnittlich gerade 0,03 Prozent aus, für deren Funktionalität seien sie aber unverzichtbar. „Ein Engpass bei der Versorgung mit diesen Rohstoffen kann ganze Wertschöpfungsketten lahmlegen“, warnt vbw-Chef Bertram Brossardt. Und laut IW-Studienverfasser Hubertus Bardt ist der angespannte Weltmarkt „schon heute für die Produktion von Hybrid-Fahrzeugen ein großes Hindernis“. Analysten schätzen den weltweiten Umsatz der Industrien, die von Seltenen Erden abhängig sind, auf 3,4 Billionen Euro – immerhin fünf Prozent des Welt-Bruttoinlandsprodukts.

Inzwischen ist das Problem auch in der Politik angekommen. Die EU-Kommission hat eine Rohstoffinitiative angestoßen, die sich unter anderem auf die Verfügbarkeit von seltenen Hochtechnologie-Metallen konzentriert. Seltene Erden werden als kritisch eingestuft, weil diese große Bedeutung für wichtige Sektoren der Wirtschaft haben, dabei mit Versorgungsrisiken behaftet sind und nicht durch andere Stoffe ersetzt werden können. Ein erster Bericht der Arbeitsgruppe wird aber erst im Juni erwartet.

Die Unternehmen bemühen sich in der Zwischenzeit um pragmatische Lösungen. Siemens-Tochter Osram hat im Oktober 2009 mit China Rare Earth ein Joint Venture gegründet, das für Osram und deren Tochtergesellschaften Leuchtstoffe für Energiesparlampen produzieren soll. Die japanischen Automobilunternehmen Mitsubishi und Toyota – der Toyota Prius gilt unter den Hybridfahrzeugen als der Spitzenreiter im Verbrauch Seltener Erden – meldeten ebenfalls Joint Ventures, allerdings mit brasilianischen und kanadischen Firmen; ein nationales Forschungsteam lässt außerdem auf der Suche nach neuen Vorkommen Satelliten über Botswana kreisen. Und in einigen Ländern bemühen sich Minengesellschaften um die Erschließung neuer Lagerstätten oder die Revitalisierung alter Bergwerke.

Die Förderung Seltener Erden außerhalb Chinas wird jedoch erst in einigen Jahren ein nennenswertes Volumen erreichen. Für Dysprosium und Terbium beispielsweise, die aus geologischen Gründen bisher nur in einem einzigen Gebiet abgebaut werden können, dem chinesischen Szechuan, müsste mit Thor Lake eine Mine im kanadischen Nordwesten die Produktion aufnehmen, deren Exploration sich noch in einem Frühstadium befindet. Außerdem strebt China an, über Beteiligungen den Markt auch außerhalb des eigenen Landes mitzubestimmen. Der Einstieg in zwei australische Unternehmen ist bereits gelungen, und auch weitere Firmen könnten sich von der Finanzkraft der Chinesen beeindrucken lassen. Die deutsche Tantalus AG, die mit Geld aus ihrem Börsengang im Januar ein Vorkommen in Madagaskar erschließen will, ist ein Beispiel für dieses Dilemma zwischen nationalen und monetären Interessen: „Das Tantalus-Projekt trägt dazu bei, das Monopol der Chinesen aufzuheben und stellt gleichzeitig ein adäquates Beteiligungs-/Übernahmeobjekt für die Chinesen dar“, so die Gründer.

China will übrigens seine marktbeherrschende Stellung nicht dafür nutzen, mit den steigenden Preisen für Seltene Erden Kasse zu machen. Erklärtes Ziel ist, westliche Unternehmen zur An- oder Übersiedlung von Produktionsstätten im Reich der Mitte zu bewegen. Die Werber des chinesischen Industriegebiets Baotou zitieren dafür nicht nur Deng Xioaping, sondern auch dessen Nachfolger Jiang Zemin: „Wir müssen die Gewinnung und die Verwendung Seltener Erden verbessern und so aus dem Ressourcen-Vorteil wirtschaftliche Überlegenheit werden lassen.“