Wertvolles Nebenprodukt

Die CIS-Produktion hängt von der Verfügbarkeit eines silbrig weißen, weichen Schwermetalls ab – Indium. Das Element gilt als selten. Aber die Experten sind sich weitgehend einig: Selten heißt nicht automatisch knapp…

„Den Innovationen geht der Rohstoff aus“, titelte die Züricher Sonntagszeitung vor einem halben Jahr. Tenor: Die Verknappung verschiedener Metalle, allen voran Indium, könnte Schlüsseltechnologien wie CIS-Solarzellen ausbremsen. Auch Volker Handke, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Berliner Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT), wertet Indium als Engpassfaktor. „Dass die Indiumproduktion an die gerade wenig attraktive Förderung einiger Basismetalle gekoppelt ist, ist problematisch – ebenso die Nutzungskonkurrenz der verschiedenen Industrien, die auf Indium angewiesen sind. Das Angebot kann der steigenden Nachfrage nicht folgen.“

Ein Standpunkt, den Gregory Phipps, Vice President des US-amerikanischen Unternehmens Indium Corporation, nicht teilt. „Wir bieten seit Jahrzehnten Indium an – und werden die Solarindustrie auch in den kommenden Jahrzehnten verlässlich mit Indium versorgen können.“ Diese gegensätzlichen Positionen verwundern nur auf den ersten Blick. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, wie dürftig die zugrunde liegende Datenlage ist: Es gibt zu Indium lediglich wenige Zahlen, und von diesen wenigen Zahlen sind einige nur geschätzt – ein perfekter Nährboden für Spekulationen.

Sicher ist lediglich Folgendes: Indium ist im Vergleich zu Kupfer, Eisen oder Gold ein junges Metall, es wurde erst 1863 von zwei deutschen Chemikern entdeckt. Sein Anteil an der Erdkruste wird mit rund 0,00001 Prozent angegeben, vergleichbar mit dem von Silber. Indium-Bergwerke gibt es nicht, das Metall wird vor allem als Nebenprodukt bei der Herstellung von Zink, Zinn und Blei erzeugt. Das hat zur Folge, dass sich Produktionsschwankungen bei diesen Muttermetallen direkt auf das Indiumangebot auswirken. Der Weltmarkt hat derzeit ein Volumen von knapp 1.300 Tonnen pro Jahr, gut die Hälfte des Materials wird mittels Recycling gewonnen – Tendenz steigend. Zwischen 70 und 80 Prozent des jährlich weltweit vermarkteten Indiums wird für die Produktion von LCDs in Notebooks, Fernsehern und Handys verwendet; dotiertes Indiumzinnoxid (ITO) erreicht fast metallische Leitfähigkeit und ist trotzdem transparent, das macht es perfekt für die bei Displays notwendigelichtdurchlässige Beschichtung. Weitere Indium-Abnehmer sind die Hersteller von LEDs, Halbleitern und elektronischen Komponenten sowie Legierungen und Loten.

Nicht gesichert dagegen sind Zahlen zum interessantesten Punkt: dem Volumen der Lagerstätten. 2007 bezifferte der Geologische Dienst der USA (USGS) die weltweiten Indium-Vorkommen auf 6.000 Tonnen, als zu wirtschaftlichen Bedingungen förderfähig galten 2.800 Tonnen. 2008 sahen die USGS-Zahlen dann plötzlich ganz anders aus: 16.000 Tonnen Reservebasis, davon 11.000 Tonnen wirtschaftlich förderfähig – dank neuer Funde vor allem in China, Kanada und Europa. Handke: „Selbst im Erzgebirge wurde eine erhebliche Menge Indium entdeckt, die Deutschland zu einem der großen internationalen Förderländer machen könnte.“ Und auch bei der oft als Explosion beschriebenen Preisentwicklung von Indium – der Preis pro Kilogramm vervielfachte sich zwischen 2002 und 2006 von 95 auf über 1.000 US-Dollar – lohnt sich ein Blick auf einen größeren Zeitraum: 180 US-Dollar pro Kilogramm waren bereits im Jahr 2000 fällig, aktuell pendelt der Preis um die 600 US-Dollar.

Anlass zur Panik? Nein. Anlass zur Sorge? Schon eher. 11.000 Tonnen sind eine recht überschaubare Reserve, wenn pro Jahr rund 600 Tonnen raffiniert und bei der CIS-Herstellung etwa 35 Kilogramm je Megawatt benötigt werden – daraus ein mögliches Produktionsvolumen für Photovoltaik-Module errechnen zu wollen, greift jedoch zu kurz, da der Anteil des Recycling-Indiums auf dem Weltmarkt stetig wächst. Die Verdreifachung eines Preises innerhalb weniger Jahre ist allerdings nicht unerheblich, zumal Bedarf und Nachfrage weiter steigen werden: LCD- und LED-Hersteller verzeichnen nach wie vor ein deutliches Produktionswachstum, und nun drängt auch noch die Solarindustrie auf den engen Markt.

„Absolut gesehen ist Indium nicht knapp, wohl aber strukturell“, sagt Volker Handke: Die Anbieter können mit der stark steigenden Nachfrage nicht mithalten. Ein Punkt, der aus Handkes Sicht vor allem aus politischen Gründen nicht thematisiert wird, da die Entwicklung einer erwünschten Zukunftstechnologie nicht von Zweifeln behindert werden soll. Dass laut USGS die Indium-Reserven deutlich größer sind als bislang angenommen, ändere an dieser strukturellen Knappheit zunächst nichts. „Die Erdhülle besteht zu 25,8 Prozent aus Silizium, trotzdem hatten die Unternehmen in den vergangenen Jahren Probleme mit der Versorgung: Das Material muss schließlich nicht nur vorhanden sein, sondern auch die richtige Qualität haben.“ Die richtige Qualität für Solar-Indium: „six-nine“, also 99,9999 Prozent. „In diesem Bereich können die Aufbereiter ihr Angebot nicht sprunghaft hochfahren.“

Zumal diese Aufbereiter gerade die Finanzkrise zu spüren bekommen: Wegen der schwächelnden Weltkonjunktur sinken bei vielen Basismetallen Nachfrage und Preis, die Förderung der Erze und ihre Verhüttung wird zurückgefahren – das trifft auch die Indium-Muttermetalle. Und selbst für das bereits aufbereitete Indium sind die Strukturen schwierig. Zum einen, weil Weltmarktführer China seine Indium-Exporte mit Quoten begrenzt und mit speziellen Zöllen verteuert. Zum anderen, weil die US-amerikanische Firma SMG gerade versucht, den ersten börsennotierten Indium-Fonds zu etablieren – bisher entsteht der Indiumpreis durch Nachfrage und Angebot auf dem freien Markt, eine Börsennotierung des Fonds könnte das seltene Metall zum Spekulationsobjekt machen und den Preis zusätzlich in die Höhe treiben.

Schwierig ist aber vor allem, dass LCD-Hersteller als große, kapitalstarke Player mit der Solarindustrie um das wenige frei auf dem Markt vorhandene Indium konkurrieren. „Ein Anstieg des Indiumpreises trifft die Photovoltaikindustrie viel stärker als die LCD-Branche“, sagt Handke. „Der Indiumanteil an den Verkaufskosten ist bei der Photovoltaik 100-mal höher.“ Bernhard Dimmler, Geschäftsführer der Würth Solar GmbH, teilt diese Befürchtung nicht. „Wenn sich der Indiumpreis um den Faktor drei erhöht, steigen die Herstellkosten für CIS-Module aufgrund des geringen Indiumanteils nach unseren Berechnungen um lediglich zwei bis drei Prozent.“ Auch die Verfügbarkeit macht ihm keine Sorgen. „Wir würden uns nicht im Bereich CIS engagieren, wenn wir bei der Indiumversorgung in den kommenden 20 bis 30 Jahren Probleme sehen würden.“ Zumal die notwendige Materialmenge je Megawatt sinke, von etwa 70 Kilogramm je Megawatt zu Beginn der CIS-Zeit auf jetzt etwa 35 Kilogramm – weitere Verbesserungen nicht ausgeschlossen. Und auch technischer Fortschritt bei anderen Anwendern könnte die Versorgungslage verbessern: Im LCD-Bereich beispielsweise wird bereits mit Nachdruck an Alternativen zu ITO gearbeitet.

Aber es ist vor allem ein Punkt, der die Sorgenfalten angesichts der begrenzten Indiumvorräte glättet: der bislang wenig effiziente Umgang mit dem Material. „Weniger als ein Drittel des Indiums, das jedes Jahr mit den verschiedenen Erzen gefördert wird, wird zurzeit auch tatsächlich extrahiert und raffiniert“, sagt Claire Mikolajczak, Bereichsleiterin Metalle und Chemikalien der Indium Corporation. „Ein Drittel ist in Schlacken oder Nebengesteinen zurückgeblieben, die von den Indium-Herstellern noch verwertet werden können. Und das letzte Drittel kommt bislang gar nicht erst bei diesen Raffinerien an.“ Noch viel ungenutztes Potenzial also – und das gilt zurzeit für alle Etappen der industriellen Indiumverwertung.Denn auch bei der Verarbeitung zu CIS-Zellen oder LCD-Displays wird Indium noch nicht optimal genutzt. „Mehr als 50 Prozent Materialausbeute bekommt bei den verschiedenen Dünnschichtverfahren zurzeit niemand hin“, sagt Volker Handke. Beim Sputtern von ITO-Schichtenbeispielsweise, ein hauptsächlich im LCD-Bereich eingesetztes Zerstäubungsverfahren, liege die Materialausbeute lediglich bei mageren drei Prozent, beim Sputtern in der CIS-Produktion seien es 23 Prozent.

Das übrige Material ist aber keineswegs verloren. „Im Zuge dieses Produktionsprozesses fällt qualitativ hochwertiges Recyclingmaterial an, das innerhalb einiger Wochen wieder genutzt werden kann“, sagt Matthias Buchert vom Öko-Institut. Im Auftrag des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) untersucht das Öko-Institut gerade die Bedeutung sogenannter kritischer Metalle wie Indium, Gallium oder Tellur für Zukunftstechnologien sowie ihr Recycling-Potenzial. „Im Pre-consumer-Bereich, also in den Unternehmen selbst, läuft das Indium-Recycling bereits sehr gut. Aber im Post-consumer-Bereich, wenn die verschiedenen Produkte das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben, besteht Handlungsbedarf.“ Immerhin wachse die Nachfrage nach Indium schon bei den klassischen Anwendungen wie Displays, weiterer Bedarf sei von den Herstellern und Recyclern des begehrten Rohstoffs zumindest zum jetzigen Zeitpunkt kaum zu decken.

„Grundsätzlich ist es technisch kein Problem, Indium aus den verschiedenen Produkten zurückzugewinnen“, sagt Buchert. Da verwundert es auch nicht, dass mit der Norddeutschen Affinerie AG ein Rohstoffkonzern CIS-Zellen entwickelt und mit der CIS Solartechnik GmbH eineentsprechende Produktionstochter gegründet hat: Die Norddeutsche Affinerie verarbeitet neben Erzen auch Recyclingmaterial und erzeugt laut Homepage außer Kupfer „weitere hochwertige Produkte basierend auf Zinn, Blei, Zink, Nickel und Selen“, also vermutlich auch Indium. Mehrere Firmen weltweit haben sich darauf spezialisiert, Metalle aus den verschiedensten ausgedienten Konsumgütern zu extrahieren. Allein Recycling-Spezialist Umicore könnte am Standort Belgien rund 50 Tonnen Indium pro Jahr rückgewinnen – wenn die ausgedienten Geräte dort nur ankommen würden. Immerhin, und das ist das eigentliche Problem, wird Indium in über einer Milliarde Produkten pro Jahr über die ganze Welt verstreut. Buchert: „Die Recyclingwirtschaft muss eine sehr gute internationale Logistik aufbauen, um die Stoffströme zu sichern. Da ist auch die Politik gefragt: Der Rückbau und das Recycling ausgedienter PV-Module beispielsweise könnten gesetzlich geregelt werden, wenn beides nur an der Grenze zur Wirtschaftlichkeit möglich ist.“ Bernhard Dimmler schätzt, dass sich CIS-Recycling erst lohnen wird, wenn die ausgedienten Module im Gigawattbereich anfallen. Das aber wird frühestens in 20 bis 30 Jahren der Fall sein.

Letztlich bestimmt der Preis für Indium, wo diese Grenze zur Wirtschaftlichkeit verläuft, und auch, wie viel Indium überhaupt auf den Markt kommt. Daraus macht auch Claire Mikolajczak keinen Hehl. „Ein Anstieg bei Nachfrage und Preis wird die Produktion von Indium weiter steigen lassen“ – und auch die Bereitschaft von Ländern wie China, die Exportquoten wieder zu erhöhen. Kurzfristige Lieferengpässe und Preissprünge nicht ausgeschlossen: „In den kommenden fünf bis zehn Jahren werden sich viele Marktparameter ändern. Trotzdem lassen alle unsere Szenarien darauf schließen, dass das Indiumangebot für die bekannten Anwendungen ausreicht. Aber natürlich wird es immer wieder volatile Phasen geben.“