Am Puls des Netzes
Wie lassen sich Strom aus erneuerbaren Quellen und Elektromobilität intelligent miteinander verknüpfen? Es gibt verschiedene zentrale Herangehensweisen...
Elektromobilität gilt als Schlüssel zu einem nachhaltigen und ressourcenschonenden Mobilitätssystem sowie zu mehr Klimaschutz. Mit Strom betriebene Fahrzeuge brauchen schließlich weder Partikelfilter noch Abgasuntersuchung, und selbst Hybrid-Modelle, sogenannte Teilzeit-Stromer, stoßen weniger Kohlendioxid oder Stickoxide aus als herkömmliche Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Noch besser wird die Bilanz, wenn Elektrofahrzeuge ihre Batterien mit Strom aus erneuerbaren Quellen wie der Photovoltaik laden. Und rund wird das Konzept, wenn diese Batterien sich mit anderen Verbrauchern und Erzeugern im Netz austauschen und abstimmen – Ladevorgänge in günstige Zeiten verschieben, überschüssige Energie zwischenspeichern, bei hoher Nachfrage Strom ins Netz zurückspeisen – und je nach Bedarf sowohl als stationäre sowie als mobile Speicher dienen können, natürlich ohne Einschränkungen für die Mobilität der Nutzer. Zurzeit werden vielfältige technische und geschäftliche Modelle erprobt, um Elektrofahrzeuge und Lade-Infrastruktur in das Energiesystem zu integrieren. Dabei gibt es mehrere grundlegende Strategien.
Beim ungesteuerten Laden wird die Batterie des Elektromobils aufgeladen, sobald das Fahrzeug an die Ladestation angeschlossen wird. Diesem Modell folgen häufig Stromtankstellen im öffentlichen und halb-öffentlichen Raum, also im Stadtgebiet, in Parkhäusern oder auf Kundenparkplätzen. Aldi Süd beispielsweise hat in diesem Jahr unter dem Motto „Sonne tanken“ 50 Schnellladestationen auf Aldi-Parkplätzen in mehreren Ballungsräumen errichtet. Den Strom sollen die Photovoltaikanlagen liefern, die auf den jeweiligen Filialdächern installiert sind. Vorerst ist – bei Aldi, aber auch bei anderen Ketten – die Nutzung der Ladesäulen kostenlos und für alle E-Mobil-Fahrer möglich, selbst wenn sie nicht im Laden einkaufen. Mittelfristig denken viele Unternehmen jedoch über entgeltpflichtiges Tanken nach. Wenn der Strom tatsächlich direkt von einer örtlichen PV-Anlage kommt, ist das ungesteuerte Laden mit Blick auf Strommix und Lastspitzen unkritisch. Wird der Strom dafür jedoch aus dem Netz bezogen, kann je nach Uhrzeit der regenerative Anteil sehr gering sein; zudem kann der Ladevorgang das Netz belasten.
Vorteilhafter mit Blick auf das gesamte Energiesystem und die Integration der Erneuerbaren ist das gesteuerte Laden. Der Fahrzeughalter legt dabei in der Regel einen Zeitpunkt fest, an dem das Auto auf jeden Fall aufgeladen zur Verfügung stehen muss. Abhängig von den Parametern, die dem gesteuerten Laden zugrunde liegen, können die Ladevorgänge dann nutzergesteuert, netzgesteuert oder erzeugungsgesteuert ablaufen – mit entsprechenden Auswirkungen. Beim nutzergesteuerten Laden definiert der Fahrzeughalter selbst den Ladevorgang, beispielsweise Zeitpunkt, Dauer, benötigte Energie oder Stromtarif. Beim netzgesteuerten Laden ist der Zustand des Versorgungsnetzes der wesentliche Faktor, beispielsweise wird bei drohender Überlastung die Ladeleistung begrenzt oder der Ladezeitpunkt verschoben. Dafür muss das steuernde System die Anforderungen aller Kunden eines Netzgebiets kennen, für das Netzgebiet eine Ladestrategie entwickeln, diese Ladestrategie ständig anpassen und mit dem Stromlieferanten abstimmen. Beim erzeugungsgesteuerten Laden steht der Ausgleich der fluktuierenden Stromerzeugung aus Sonne und Wind im Mittelpunkt, dafür werden Netzsituation und Netzlast ebenso berücksichtigt wie Informationen zum aktuellen Erzeugungsmix.
Perspektiven hierzu liefert unter anderem das Ende 2015 abgeschlossene Enercity-Forschungsprojekt „Demand Response“ im Niedersächsischen Schaufenster Elektromobilität. Ziel war die Entwicklung von marktfähigen Geschäftsmodellen, die das Nutzerverhalten so steuern, dass Elektromobilität einen nennenswerten Beitrag zur Stabilisierung des energiewirtschaftlichen Gesamtsystems liefern kann. Insgesamt 40 Fahrzeuge standen im Praxistest mit eigens entwickelten intelligenten Ladeboxen, davon 30 unterschiedliche Elektroautos privater und gewerblicher Herkunft sowie zehn VW e-up! aus dem Enercity-Fuhrpark. In einer Referenzphase wurde zunächst das gewohnheitsmäßige Laden ermittelt: Die häufigsten Ladezeitpunkte lagen während der höchsten Stromnachfrage des Tages zwischen 18 und 20 Uhr. Bei einer wachsenden Zahl von E-Fahrzeugen würde dieses ungesteuerte Laden zu noch höheren Lastspitzen besonders in den Abendstunden führen. In den folgenden Projektphasen, die das gesteuerte Laden untersuchten, konnten sich die Nutzer daher auch für definierte statische Zeitfenster oder netzseitig vorgegebene variable Zeitfenster entscheiden – und tatsächlich wurden rund 90 Prozent der Ladevorgänge in Zeiten hoher Stromeinspeisung durch Erneuerbare oder in Zeiten mit geringer Stromnachfrage verlagert. Enercity zufolge war das flexible Laden so gut möglich, weil nur ein Fünftel der Tester an Werktagen eine Akkuladung von 80 Prozent oder mehr benötigen. Während die Akzeptanz unter der Woche sehr hoch gewesen sei, habe am Wochenende ein höherer Wunsch nach individueller Lade-Sicherheit bestanden – trotz eines tatsächlich geringeren Bedarfs hätten die Nutzer für ihre Freizeit alle Optionen offen halten wollen. Als weiteres Ergebnis verzeichnet Enercity ein Umdenken der Teilnehmer: Nach dem Feldversuch sei insgesamt der Kontrollwunsch über den Ladevorgang geringer als vorher. Detaillierte Projektergebnisse will Enercity im Sommer vorlegen.
Das ebenfalls vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Projekt „Tanken im Smart Grid – Netzentlastung durch intelligentes Laden“ unter Leitung des Instituts für Elektrische Energietechnik der TU Clausthal konzentriert sich auf eine intelligente Steuerung des Ladevorgangs. Diese soll zur Erhöhung der Netzstabilität beitragen und die Verwendung von erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung und der Stromspeicherung unterstützen. Unter anderem sollen Hauptzähler und Ladetechnik miteinander kommunizieren, um Differenzen zwischen Stromangebot und Auslastung erkennen und ausgleichen zu können. Während der netzgekoppelten Phase kann das Fahrzeug zudem den aktuellen Zustand des lokalen Netzbereichs ermitteln und entsprechende Daten an die Netzbetreiber liefern.
Beim bidirektionalen Laden nimmt die Fahrzeugbatterie nicht nur Energie auf, sondern kann sie bei Bedarf wieder in das Stromnetz abgeben – zumindest teilweise, denn gleichzeitig soll das Fahrzeug immer über eine garantierte Mindestreichweite verfügen. Der Bad Neustädter Automobilzulieferer Jopp Automotive testet in Kooperation mit Mitsubishi in einem Feldversuch eine i-MiEv-Flotte, die über eine vom Technologie-Transfer-Zentrum für Elektromobilität der Hochschule Würzburg-Schweinfurt entworfenen bidirektionalen Powerbox in das Firmenstromnetz integriert ist. Die Bidirektionalität soll das Stromnetz in Spitzenzeiten entlasten oder das Auto als mobiles Notstromaggregat nutzbar machen. Die fünf Fahrzeuge werden von Jopp-Mitarbeitern genutzt und morgens nach der Ankunft am Arbeitsplatz mit der Powerbox verbunden, um in der Spitzenzeit des Stromverbrauchs zusätzliche Energie ins Firmennetz zu leiten. Wenn die Maschinenleistung in den Produktionshallen zurückgeht, fließt der Strom in die andere Richtung: Die Batterien der i-MiEV werden aufgeladen. Kostspielige Verbrauchsspitzen sollen so umgangen und die Beanspruchung des öffentlichen Netzes verringert werden – und irgendwann wird es vielleicht möglich sein, das am Arbeitsplatz aufgetankte Auto nach Feierabend ebenso bidirektional zuhause anzuschließen.
Das ZSW erforscht seit mehreren Jahren die Wechselwirkungen von Stromnetz und elektrischen Fahrzeugen: Wenn diese über die jeweilige Ladeinfrastruktur am Netz angeschlossen sind, kann man sie als verteilte Speicherressourcen betrachten, die positive und negative (Regel-)Leistung bereitstellen können. Einzeln, aber vor allem als Schwarm: Je mehr Fahrzeuge in einem System sind, umso größer ist das mögliche Volumen und umso mehr sind als Speicher oder eben als Auto verfügbar. In den Projekten Net-ELAN, Net-INES und komDRIVE wurden die wirtschaftlichen Potenziale der Netzkopplung, die Auswirkung des Ladeverhaltens auf das Verteilnetz und das gesamte Energiesystem von Pkw und Fahrzeugflotten für den städtischen Güterverkehr untersucht. Damit sich Elektroautos langfristig als Netzdienstleister etablieren können, entwickelten die Wissenschaftler auch ein mögliches Geschäftsmodell. Dabei werden die Nutzungsrechte an der Batterie zwischen dem Fahrzeughalter und seinem Geschäftspartner, dem sogenannten Aggregator, aufgeteilt. Der Fahrzeughalter erhält eine Prämie und überlässt im Gegenzug seinem Geschäftspartner die Nutzung der Batterie. Dieser bündelt mehrere Fahrzeugbatterien zu einem elektrischen Großspeicher und kann damit Netzdienstleistungen anbieten oder Stromhandel betreiben.
Ist das E-Mobil einmal schrottreif, muss die Batterie nicht mitverschrottet werden: Gebrauchte Batterien von Elektrofahrzeugen sind für sogenannte Second-Life-Anwendungen geeignet, also als stationäre Energiespeicher. Auch zu diesem Bereich hat das ZSW im Projekt NET-INES geforscht. Demnach weisen Antriebsbatterien, die aus der Automobilanwendung ausgeschieden sind, dafür in der Regel genügend hohe Restkapazitäten auf. Hinzu kommt, dass den Simulationen zufolge der Restwert einer gebrauchten Elektrofahrzeugbatterie aufgrund der zukünftig fallenden Batteriekosten perspektivisch sinkt. Das eröffne die Möglichkeit, diese Batterien in stationären Zweitanwendungen kostengünstig für die Erbringung von Netzdienstleistungen einzusetzen. Daimler beispielsweise baut gerade unter dem Motto „Elektromobilität zu Ende gedacht“ gemeinsam mit The Mobility House, Getec und Remondis aus ausgedienten Batterien seines Smart-Modells den mit 13 Megawattstunden Kapazität nach eigenen Angaben größten Second-Use-Batteriespeicher der Welt im westfälischen Lünen. Und in Hamburg ist ein 2-Megawatt-Speicher aus Batterien der BMW- Elektrofahrzeuge ActiveE und i3 bereits Teil eines virtuellen Kraftwerks von Vattenfall.