Das Geheimnis der Gummibärchen
Die deutsche Abakus Solar AG legt nicht nur bei ihren Projekten Wert auf Nachhaltigkeit, sondern auch bei ihren Geschäftsbeziehungen. In Taiwan, Vietnam und Südkorea zahlt sich dieser Ansatz jetzt aus...
Wie bestellt strahlt die Sonne von einem eisblauen Himmel. Sonst deutet an diesem kalten Januarmorgen nichts darauf hin, dass in der geschäftigen Ecke von Kölns Stadtteil Bickendorf ein Unternehmen ansässig ist, das schon seit Mitte der 90er Jahre mit der Sonne Geschäfte macht – etliche junge Medienfirmen haben sich hier niedergelassen, eine große Autovermietung, und der Namensgeber der Straße, Wilhelm Mauser, wurde mit eher unfriedlichen technischen Erfindungen bekannt. Aber hinter den geweißten Mauern der ehemaligen Schirmfabrik gibt es eine andere, entspanntere Welt: die der Abakus Solar AG. Das Hauptquartier des Unternehmens steht in Gelsenkirchen. Inzwischen kümmern sich die etwa 35 Mitarbeiter jedoch auch in München, Reinheim und eben Köln um Systemgeschäft, Serviceleistungen und Projektrealisierungen.
Dass sich das Unternehmen über Niederlassungen in Spanien und Italien den südeuropäischen Markt erschließt, ist in der Photovoltaikbranche nicht überraschend. Aber der Mittelständler hat auch Wege nach Asien gefunden: mit Niederlassungen, Joint-Ventures und Public Private Partnerships (PPP) in Südkorea, Taiwan und Vietnam. „Ohne ein sorgsam aufgebautes Netzwerk geht das natürlich nicht, vor allem für Abakus als eher kleines Unternehmen“, sagt Erhard Krausen, Abakus-Vorstand und verantwortlich für Produktion und Technik. „Der Aspekt der Nachhaltigkeit muss sich durch alle Aktivitäten durchziehen.“
Mit Nachhaltigkeit kennt sich Abakus aus, auch wenn die Anfänge der Firma eine so starke Internationalisierung ihres Geschäfts nicht vermuten ließen. 1995 als Abakus GbR gegründet und zwei Jahre später zur Abakus Energiesysteme GmbH umfirmiert, konzentrierte sich das Unternehmen zunächst auf Photovoltaik-Ingenieurdienstleistungen sowie die Abwicklung schlüsselfertiger Projekte. Diverse Referenzen finden sich in der Heimatregion Ruhrgebiet, zum Beispiel die dach- und fassadenintegrierten Photovoltaikanlagen der Akademie Mont-Cenis und des Westfälischen Museums fürArchäologie in Herne, das gebogene Lichtdach der Galeria Messe Essen oder das aufgeständerte Solarkraftwerk „Schalker Verein“ auf einem ehemaligen Erz- und Kohlebunker in Gelsenkirchen.
Vor allem die gebäudeintegrierte Photovoltaik (BIPV) hat es den Ingenieuren von Abakus angetan. „Die Zusammenarbeit mit Architekten und das Austüfteln individueller Lösungen ist sehr reizvoll“, sagt Erhard Krausen – und auch betriebswirtschaftlich macht dieser Schwerpunkt Sinn, denn maßgeschneiderte Lösungen stehen weniger unter Preisdruck als das Massengeschäft. Der Schritt in den Fernen Osten war da fast logisch, obwohl aus Krausens Sicht Asien als Markt – im Gegensatz zu Asien als Hersteller – häufig nicht ausreichend wahrgenommen wird: „Da Platz in Asien ein knappes Gut ist, kommt man mit gewöhnlichen Aufdachanlagen nicht weit. Und bei öffentlichen Gebäuden gehört BIPV inzwischen oft zum Standard.“
Trotzdem waren es eher viele kleine Schritte, die Abakus in den Fernen Osten führten. Zunächst nach Taiwan. „2004 waren wir zum ersten Mal da“, sagt Thomas Sandner. Der Abakus-Chef, der 1995 bereits zu den Gründungsgesellschaftern gehörte, ist zuständig für den Aufbau des BIPV-Geschäfts und die Expansion der Gesellschaft in den asiatischen Markt. „Angefangen haben wir mit Ingenieurdienstleistungen: Planungen, Studien, Beratung von Kommunen. 2006 kam dann das erste große Projekt.“ Auf dem Gelände des taiwanesischen Energieversorgers Taipower auf der Halbinsel Heng-Chun baute Abakus als Systemkonstrukteur und Installateur das mit 50 Kilowatt Nennleistung bislang größte BIPV-Projekt Taiwans: Crystal Garden. Auf einer elegant geschwungenen Stahlkonstruktion ruhen 396 Glas-Glas-PV-Module, die zum einen die Sonne zur Energieerzeugung nutzen, aber auch Licht durch die Zwischenräume lassen, so dass im Tagesverlauf wechselnde gitterförmige Schatten entstehen. Die geneigte Oberfläche spiegelt Himmel und Wolken inmitten einesgrünen Parkgeländes – inzwischen gilt das Bauwerk auch ästhetisch als Attraktion. Ebenso das gerade fertiggestellte Hauptquartier des Zellproduzenten E-Ton Solar im taiwanesischen Tainan: Nach einem Entwurf des österreichischen Architekten Hans Hollein integrierte Abakus eine 300-Kilowatt-Anlage in das Dach des Gebäudes.
Weniger Glück hatte das deutsche Unternehmen mit der geplanten BIPV-Anlage auf dem Dach des Rathauses in Taipeh. „Die City Hall scheint in der Bürokratie versackt zu sein“, sagt Erhard Krausen. Aber er ist optimistisch, im Rahmen des Solardachprogramms der Deutschen Energie-Agentur (dena) ein anderes Projekt in Taiwans Hauptstadt umsetzen zu können: eine Photovoltaikanlage auf dem Dach der Europaschule. „Dafür kooperieren wir mit ambitionierten Architekten vor Ort.“ Auch in einem anderen Bereich hat Abakus die Kooperation in Taiwan vorangetrieben. Parallel zum Aufbau eines eigenen Büros in Taipeh, wo eine Handvoll Mitarbeiter für asiatische Projekte vor Ort die aus Deutschland bekannten Dienstleistungen anbietet, gründete Abakus 2006 in Lungtan die A2peak Power Company, ein Joint Venture zur Produktion von maßgeschneiderten und Standard-Glas-Glas-Modulen. 49 Prozent des Unternehmens gehören Abakus, die anderen Investoren sind taiwanesische Privatleute und Kleinaktionäre, die unter dem Namen Green Wing in einem Pool zusammengefasst sind – eine Konstellation, die ohne die langjährige Abakus-Präsenz im Land nicht möglich gewesen wäre.
„Wir haben das Ziel, vor Ort ein hochwertiges europäisches Produkt herzustellen“, sagt Krausen. Die Produktionsstraße selbst haben die Gelsenkirchener Ingenieure „vom Produkt her“ geplant, konsequent wurde auf deutschen Maschinenbau, weitgehende Automatisierung, messbare Qualität und Präzision gesetzt. Die Stringer beispielsweise kommen von Teamtechnik, die Laminatoren von Meier Vacuumtechnik, die Flasher von Berger, die Rahmungsmaschine und der Back-end-Bereich von Olbricht; die Transporteinrichtungen wiederum sowie Labor und Testeinrichtung sind von taiwanesischen Lieferanten. „Und für die Mitarbeiter haben wir gemeinsam mit dem taiwanesischen Forschungsinstitut ITRI ein Ausbildungskonzept entwickelt“, sagt Krausen. Grundausbildung und Weiterbildungen sollen nicht nur das Handling der Maschinen vermitteln, sondern auch ein Gefühl für die Photovoltaik als System sowie die Wertigkeit der Produkte. Dass Taiwan sich schon lange als Produktionsstandort für technische Güter bewährt, kommt Abakus entgegen. „Effiziente Abläufe haben die Leute dort wirklich drauf.“ Und die intensiven Schulungen haben sich gelohnt. „Inzwischen kommen sogar schon die ersten Verbesserungsvorschläge von den Beschäftigten selbst.“
Seit August 2008 produziert A2peak mit 120 Beschäftigten standardisierte sowie kundenspezifische Glas-Glas-Module im 24-Stunden-Betrieb, die Kapazität liegt bei 35 Megawatt. Hergestellt werden zum einen „Peak-on“-Standardmodule, die auch für kleinere Anlagen kombiniert werden können. Sie haben Aluminumrahmen und dicke Solarglasscheiben, so dass sie bis zu 540 Kilogramm Schneelast pro Quadratmeter aushalten; die Module sind vom TÜV Rheinland nach IEC 61215 zertifiziert. Weiteres Produkt sind die gebäudeintegrierbaren „Peak-in“-Glas-Glas-Module, gedacht vor allem für Glasdächer, Atrien, Oberlichter, Fassaden, Balkone und Brüstungen. „Als Abnehmer haben wir in erster Linie die asiatischen Märkte im Blick“, so Sandner. „Es geht hier nicht um neue Quellen für billige Asia-Importe nach Europa.“
Im Oktober 2008 verlieh der taiwanesische Vizepräsident A2peak den „Top 10 Potential Business Award“, was für Renommee und regelmäßige Besuche asiatischer Delegationen sorgt. „Einerseits sind die Besucher vom hohen Automatisierungsgrad unserer Modulfertigung sehr angetan“, sagt Thomas Sandner. „Aber mindestens genauso spannend finden sie die Einrichtung der Büros und Aufenthaltsräume.“ Denn die offenen Büroräume mit viel echtem Holz haben mit den landesüblichen Büroboxen nicht viel gemeinsam. Und auch viele Abläufe sind anders. „A2peak ist flach organisiert, wir delegieren mehr Verantwortung als in Taiwan üblich“, sagt Sandner. „Die Leute sollen sich mit den Produkten und der Firmaidentifizieren.“ Idee dahinter: Wer seine Beschäftigten gut ausbildet, gut bezahlt und ihnen gute Bedingungen bietet, kann sie auch halten – denn traditionell ist die Fluktuation in Taiwan sehr hoch. „Vielleicht sorgen ja auch nur die Gummibärchen dafür, dass die Leute bleiben“, sagt Sandner augenzwinkernd – das süße NRW-Produkt ist in Taiwan heiß begehrt und wird von Abakus bei jeder Gelegenheit gleich kofferweise importiert.
Die guten Erfahrungen in Taiwan haben Abakus Mut gemacht. 2007 änderte das Unternehmen seine Rechtsform von der GmbH zur AG, um für die Internationalisierung besser aufgestellt zu sein – laut Thomas Sandner trifft eine AG im Ausland auf größere Akzeptanz, außerdem soll die Kapitalaufnahme leichter sein. Und mit größeren Vorhaben ist zu rechnen. 2007 gründete Abakus auf Basis von guten Kontakten vor Ort in Seoul die Abakus Solar Korea Company, die 100-prozentige Tochtergesellschaft ist im Bereich PV-Projekte und BIPV tätig. 2008 betrat Abakus in Vietnam Neuland: Im Rahmen eines PPP-Projekts kümmerte sich das Unternehmen mit mehreren Partnern – der DEG-Bank, dem TÜV Rheinland und dem vietnamesischen Forschungsinstitut RCEE (Research Center for Energy and Environment) – um die Installation solarer Inselanlagen; zehn verschiedene Photovoltaik- und Solarthermie-Systeme erzeugen jetzt an unterschiedlichen Standorten in Vietnam umweltfreundlich Strom und Wärme.
Kein einfaches Unterfangen in einem Land mit wenig Infrastruktur.„Schon beim Lesen der Reiseberichte unserer Mitarbeiter trat einem der Schweiß auf die Stirn“, sagt Erhard Krausen. „Das war zum Teil wirklich grenzwertig.“ Aber jetzt werden nicht nur einige private Haushalte mit Sonnenenergie versorgt, sondern auch eine Krankenstation, eine Schule, ein Hotel, eine Post- und eine Telekommunikationsstation; Workshops in Hanoi und Saigon sorgen für Know-how-Transfer zu Partnern und potenziellen Nutzern. „Bei solchen Projekten müssen wir immer auf zwei Aspekte achten“, sagt Erhard Krausen. „Was nutzt dem Land? Und was nutzt dem Unternehmen?“ Für Vietnam könne die Installation von Inselanlagen ein erster Schritt sein, die Abhängigkeit von Energielieferungen aus China und Thailand zu verringern. Abakus wiederum lerne bei jedem Projekt dazu und gewinne erste Kontakte für ein Netzwerk in Vietnam. Überstürzen will das nordrhein-westfälische Unternehmen nichts, auch wenn Erhard Krausen nach dem Erfolg des Projekts „Solar Campus Vietnam“ weitere Schritte auf dem vietnamesischen Markt nicht ausschließen will. „Wir sind nachhaltig präsent, wir pflegen unsere Netzwerke. Und erst dann kommt der nächste Schritt.“ In andere Tigerstaaten haben die Schritte aus Köln-Bickendorf ja bereits geführt.