Die vergessene Ressource
Neben Wasser und Luft hängt das Leben auf der Erde auch von einer dritten wichtigen Ressource ab: dem Boden. Der Boden muss für eine wachsende Weltbevölkerung Nahrungsmittel, Rohstoffe und Lebensraum liefern und ist zudem als größter terrestrischer Kohlenstoffspeicher entscheidend für den Kampf gegen den Klimawandel...
Die Menschheit verliert den Boden unter den Füßen. In jeder Minute verschwinden 5,5 Hektar unter Siedlungen und Straßen, verlieren zehn Hektar ihre Fruchtbarkeit, drohen 23 Hektar, zu Wüste zu werden. Über 24 Milliarden Tonnen Erdkrume gehen der Menschheit nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) Jahr für Jahr verloren – unwiederbringlich, denn die Neubildung von nur einem Zentimeter Boden dauert mindestens 100 Jahre. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung, bis 2050 wahrscheinlich auf rund neun Milliarden Menschen: Immer weniger Boden muss die Bedürfnisse von immer mehr Menschen stillen – Nahrungsmittel, Rohstoffe für Energie und Konsum, Raum zum Wohnen und Arbeiten.
Als „tickende Zeitbombe“ bezeichnet Klaus Töpfer diesen aus seiner Sicht unterschätzten und damit viel zu wenig beachteten Prozess. „Im Vergleich zu anderen Ressourcen wie Wasser oder anderen Umweltproblemen wie Klimawandel haben Böden bisher nicht die gleiche politische und öffentliche Aufmerksamkeit erlangt,“ sagt der Chef des Potsdamer Klimaforschungsinstituts IASS. Das soll sich ändern. Im November 2012 organisierte das Institut in Berlin die erste Global Soil Week: Akteure aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft aus über 60 verschiedenen Ländern diskutierten über die Bedrohung der Böden und entwickelten eine „Agenda for Action“ für nachhaltiges Bodenmanagement und nachhaltige Landbewirtschaftung.
Gleichzeitig war die Global Soil Week eine der Anschubveranstaltungen der Global Soil Partnership: Die FAO-Initiative strebt im Zusammenhang mit den Millenniumsentwicklungszielen seit 2010 eine globale Bodenpartnerschaft für Ernährungssicherheit und Klimaschutz an, Ziel ist die nachhaltige Bewirtschaftung von Bodenressourcen. Und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hat den Schwund fruchtbarer Böden im vergangenen Jahr als eines der dringendsten Probleme identifiziert – auf einer Stufe mit der noch nicht beantworteten Frage nach einem sicheren Endlager für Atommüll.
Eine Premiere auf der politischen Bühne erlebt der Boden damit nicht. Die bisherigen Auftritte waren aber eher kurze Gastspiele. In den USA beispielsweise brachten schon in den 30er Jahren verheerende Staubstürme in den Staaten der Great Planes erste Aufmerksamkeit: Viele Bauern hatten großflächig Präriegras gerodet, um Weizen anbauen zu können. In einer Phase mit zu geringen Niederschlägen setzte daraufhin Erosion ein, die so gravierend war, dass viele Bauern ihr Land verlassen mussten – unter anderem Anlass für die Gründung der US-Ressourcenschutzagentur NRCS und für spezielle Bodenschutzgesetze wie den Soil Conservation and Domestic Allotment Act. „Die Geschichte jeder Nation verläuft so, wie sie sich um ihren Boden kümmert“, sagte US-Präsident Franklin D. Roosevelt bei dessen Unterzeichnung. In den 70er Jahren rückte das Thema in den Fokus einer anderen Weltregion: Regierungen von Sahelstaaten brachten Bauern dazu, nach einer großen Dürreperiode auf ihre Äcker zurückzukehren und sie mit Hilfe von Steinwällen, Bäumen und moderner Bewässerung vor weiterer Erosion zu schützen und wieder fruchtbar zu machen. Diese Aktivitäten wurden über Jahrzehnte auch von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit unterstützt und halfen, zumindest in dieser Region Bodenverluste einzudämmen und die landwirtschaftliche Produktion zu steigern.
Weltweit erreichte das Thema Boden aber nie eine hohe Aufmerksamkeit. „Im Zusammenhang mit der Diskussion um Ernährungssicherung und Klimawandel scheint sich dies langsam zu ändern“, sagt Alexander Schöning, Fachplaner für Agrarproduktion und Ressourcennutzung bei der GIZ. „Das Thema ist allerdings komplex, denn Boden ist nicht nur durch Naturereignisse oder falsche landwirtschaftliche Nutzung bedroht.“ In ihrer Dramatik verkannt wird aus seiner Sicht die immer schärfer werdende Nutzungskonkurrenz. Viel Boden verschwindet beispielsweise Jahr für Jahr unter Beton und Asphalt, da inzwischen etwa die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt – Tendenz steigend. Die Versiegelung fruchtbaren Bodens schreitet sogar unabhängig von der Bevölkerungsentwicklung voran, wie das Beispiel Deutschland zeigt. In ihrer Nachhaltigkeitsstrategie hat die Bundesregierung Ende 2012 lediglich das Ziel formuliert, die Fläche für den Bau von Siedlungs- und Verkehrsflächen bis zum Jahr 2020 von jetzt 77 auf maximal 30 Hektar pro Tag zu senken – ein Verzicht auf weitere Versiegelungen scheint nicht möglich. In anderen Ländern, in denen die Bevölkerung wächst oder in denen sich Wirtschaft und Gesellschaft zügig weiterentwickeln, ist der Flächenverbrauch noch rasanter.
Auf Böden jenseits von Städten und Verkehrswegen, die (noch) nicht versiegelt sind, setzt sich die Nutzungskonkurrenz weiter fort. Schöning: „Ein Hektar Boden lässt sich nur einmal verwenden, beispielsweise als Wald, Weide oder Acker. Und hinter jeder Nutzung stecken wirtschaftliche Interessen, jede Nutzung hat Auswirkungen auf den Boden, seine Funktion im Ökosystem und seine Qualität.“ Die Folgen für die Biodiversität, beispielsweise wenn ein Stück Regenwald zum Sojafeld wird, sind da noch der sichtbarste Aspekt. Häufig übersehen wird Schöning zufolge die Bedeutung des Bodens für den Klimawandel. „Mit 1.500 Gigatonnen ist der Boden nach den Ozeanen der größte Kohlenstoffspeicher der Erde. Dieser Speicher lässt sich durch entsprechende Bodennutzung noch ausbauen. Dazu sind aber geeignete Anreizmechanismen erforderlich.“ Und auch das Thema Wasser lasse sich nicht isoliert betrachten. „Dass ein Boden ohne Wasser nicht fruchtbar ist, liegt auf der Hand. Der Boden übernimmt für Wasser aber auch wichtige Filter- und Speicherfunktionen. Ohne Boden gibt es keinen funktionierenden Wasserkreislauf.“
Während jedoch die Vereinten Nationen das Recht auf sauberes Wasser zum Menschenrecht erhoben haben, eine UN-Konvention zu einem grenzübergreifenden Management von Wasserressourcen auf internationale Umsetzung wartet und die erste Klimakonvention bereits vor über 20 Jahren verabschiedet wurde, steht eine umfassende Bodenkonvention trotz der globalen Bedeutung der Ressource bislang aus.
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