Eine für alle
Die Beteiligung an einem Solarpark oder einer großen Dachanlage muss kein anonymes Investment in südlichen Ländern sein. In immer mehr Regionen schließen sich Einwohner zusammen, um gemeinschaftlich konkrete Projekte vor Ort zu realisieren...
Am Anfang stand eine einfache Frage. Warum, überlegte Michael Diestel vor einigen Jahren, sollen nur ein Grundstücksbesitzer und einige wenige, überwiegend auswärtige Kapitalanleger von einer Photovoltaik-Freiflächenanlage in der Region profitieren? Denn solche Freiflächenanlagen waren damals gerade ins Blickfeld finanzkräftiger Investoren gerückt – im Jahr 2003, als im Zuge der zum Jahresende anstehenden EEG-Novelle die Aufhebung der bis dahin geltenden Größenbeschränkung für Freiflächenanlagen diskutiert und schließlich auch beschlossen wurde. Diestel, Geschäftsführer des Kreisverbandes Rhön-Grabfeld im bayerischen Bauernverband, fand keine Antwort auf seine Frage. Aber er fand Wege, um Bauern und Bürger der Region für die Photovoltaik zu begeistern – und für gemeinsame Investitionen sowohl in große als auch in kleine Anlagen. Mehrere hundert Gesellschafter aus der Region haben inzwischen 14 Bürgersolaranlagen mit einer Gesamtleistung von 7,6 Megawatt möglich gemacht. Gesamtes Investitionsvolumen: rund 30 Millionen Euro.
Dass die Photovoltaik im Landkreis zu einem solchen Selbstläufer wird, hätte Diestel 2003 nicht für möglich gehalten. Eigentlich hatte der Bauernverband nur vor, die Nachfrage von Landwirten zu bündeln, um ihnen günstige Konditionen für eigene Dachanlagen zu verschaffen – und erlebte eine Überraschung. „Viele Landwirte waren damals zwar bereit, sich mit Kapital an einer Anlage zu beteiligen. Aber sie wollten selbst keine bauen.“
Thema vom Tisch? Keineswegs. Denn diese grundsätzliche Investitionsbereit schaft in erneuerbare Energien ging Michael Diestel nicht aus dem Kopf. Gleichzeitig beschäftigte er sich intensiv mit den Ideen von Friedrich Wilhelm Raiffeisen, dem es im 19. Jahrhundert als Bürgermeister gelungen war, angesichts von Not und Armut auf dem Land nicht zu verzagen, sondern die Selbsthilfe in den Dörfern zu mobilisieren. „Das Geld des Dorfes dem Dorfe“ gehört zu Raiffeisens Leitsätzen. „Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das schaffen viele.“ Und „Einer für alle. Alle für einen.“
Obwohl Diestel jeden dieser Sätze richtig und wichtig findet, ist eine Art moderner Sozialismus nicht sein Ziel. Umso mehr eine positive Variante des oft geschmähten Kirchturmdenkens: Er will mit Ideen und Projekten Menschen bewegen und den Gemeinsinn stärken. Eine gemeinschaftliche Energieerzeugung schien ihm schon 2003 ein ebenso zeitgemäßer wie sinnvoller Ansatzpunkt zu sein – wenn sich statt auswärtiger Investoren vor allem Bürger der Region beteiligen, wenn örtliche Banken die Finanzierung und regionale Firmen die Installation übernehmen und wenn die Betreibergesellschaft ebenfalls ihren Sitz vor Ort hat, damit die Gewerbesteuer nicht nach irgendwo abfließt.
Das sind jedoch nicht die einzigen Punkte, die bei Bürgersolaranlagen wichtig sind. Da bei einem solchen Projekt die Interessen zahlreicher Beteiligter – von den Gesellschaftern über die Betreiber bis zu den Banken – sowie rechtliche und steuerliche Aspekte berücksichtigt werden müssen, ist der Planungsaufwand umfangreicher als bei üblichen Aufdachanlagen. Das zeigt sich schon bei den ersten Schritten: Hausbesitzer müssen für ihre Anlage weder Mitstreiter noch geeignete Flächen suchen, keinen gesellschaftsrechtlichen Rahmen stecken und keine Verantwortlichkeiten verteilen, sondern können direkt mit den Themen Wirtschaftlichkeit und Finanzierung sowie dem Einholen von Angeboten und Genehmigungen beginnen.
Bei Bürgersolarprojekten ist das anders. Denn auch bei einem auf den ersten Blick gemeinsamen Ziel – einen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten und Geld in Photovoltaikanlagen investieren – muss der Weg zu diesem Ziel detailliert besprochen und festgelegt werden, damit das Projekt allen Beteiligten klar ist und es im Konfliktfall verbindliche Regeln gibt. Über die wirtschaftlichen Zielstellungen und Erwartungen des gemeinsamen Projektes beispielsweise muss von Anfang an Konsens bestehen, denn beim Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf. Und da es nicht nur um Fragen rund um das Finanzierungskonzept und das Beteiligungsverhältnis geht, sondern auch um die Rechte und Pflichten der Gesellschafter, die formalen Abläufe und nicht zuletzt die steuerlichen Bedingungen, sind vor der Gründung der Gesellschaft Gespräche sowohl mit einem Steuerberater als auch mit einem Juristen ratsam.
Schon die Rechtsform der Betreibergesellschaft muss gut überlegt werden, denn jede Variante hat Vor- und Nachteile. Oft wird beispielsweise eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gegründet; sie ist die einfachste Gesellschaftsform und erfordert kaum bürokratischen Aufwand, hat aber den Nachteil, dass die Gesellschafter mit ihrem gesamten persönlichen Vermögen haften. Eine andere und risikoärmere Rechtsform ist zum Beispiel die GmbH & Co. KG: Hier wird die Rolle des persönlich haftenden Gesellschafters von der GmbH übernommen, und die Haftung der dahinter stehenden Gesellschafter beschränkt sich auf ihre Stammeinlagen bei der GmbH. Dafür ist bei dieser Variante der administrative Aufwand höher und dadurch auch der notwendige finanzielle Einsatz, so dass diese Rechtsform für kleine Bürgersolaranlagen oft zu teuer ist. Weitere Möglichkeiten sind die Gründung eines Solarvereins, die Kombination eines Vereins mit einer GbR, die eingetragene Genossenschaft (eG) oder auch die sogenannte Mini-GmbH, also die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt). Größere Einzelbeteiligungen lassen sich auch rechtlich unabhängig, aber in gemeinschaftlicher Planung und auf einem Dach organisieren.
Die Rechtsform hat übrigens für jeden Gesellschafter bei der Einkommensteuer ganz individuelle Folgen. Je nach Konstrukt sind die Gewinne entweder als Einkünfte aus gewerblicher Quelle zu versteuern (Beispiel GbR) oder als Einkünfte aus Kapitalvermögen (Beispiel eG) –, und entweder greift dann der individuelle Steuersatz, der in Deutschland bis zu 42 Prozent betragen kann, oder aber die Abgeltungssteuer mit maximal 25 Prozent. Keine unerhebliche Differenz bei der Berechnung der persönlichen Rendite.
Und noch ein Punkt muss ganz zu Beginn des Projekts geprüft werden: die sogenannte Prospektpflicht. Denn Anbieter von Vermögensanlagen müssen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) einen Prospekt hinterlegen – so will es das Verkaufsprospektgesetz (VerkProspG), das für unerlaubte öffentliche Angebote von Vermögensanlagen zudem ein Bußgeld von bis zu 500.000 Euro vorsieht. Die Prospektpflicht besagt: Erst muss der Anbieter den Verkaufsprospekt von der BaFin genehmigen lassen und dort hinterlegen, dann darf er die Anlagen öffentlich anbieten. Und ein öffentliches Angebot liegt schon dann vor, wenn über ein beliebiges Medium wie zum Beispiel das Internet ein unbestimmter Personenkreis aufgefordert wird, ein Kaufangebot abzugeben – bei der öffentlichkeitswirksamen Suche nach Mitstreitern ist also zunächst Zurückhaltung geboten.
Eine einfache GbR unterliegt dabei aus Sicht des VerkProspG denselben Anforderungen wie ein großer Private-Equity-Fonds. Es sei denn, das geplante Projekt liegt unterhalb klar definierter Bagatellgrenzen. So muss derjenige keinen Verkaufsprospekt hinterlegen, der das öffentliche Angebot von vornherein auf 20 Anteile beschränkt oder von Anfang an plant, innerhalb von zwölf Monaten höchstens 100.000 Euro einzusammeln – viele Bürgersolaranlagen sind jedoch breiter aufgestellt oder brauchen mehr Eigenkapital. Auch Vermögensanlagen, die einem begrenzten Personenkreis angeboten werden, sind von der Prospektpflicht ausgenommen. Begrenzt heißt jedoch: Die betreffenden Personen müssen dem Anbieter im Einzelnen bekannt sein, und er muss sie nach individuellen Gesichtspunkten ausgewählt und gezielt angesprochen haben – die persönliche Beziehung zwischen Käufer und Anbieter muss also schon zum Zeitpunkt des Angebots bestanden haben. Informationsveranstaltungen, mit denen interessierte Bürger für die Finanzierung eines Projekts geworben werden sollen, erfüllen den Anspruch an ein Angebot an einen begrenzten Personenkreis somit nicht.
Trotz der vielen zu bedenkenden Aspekte: Bürgersolaranlagen liegen im Trend. Bundesweit sollen es Branchenschätzungen zufolge inzwischen rund 900 sein. Im Kreis Rhön-Grabfeld gingen von Michael Diestels anfänglicher Idee für ein Bürgersolarkraftwerk bis zur Inbetriebnahme des ersten Projekts zwei Jahre ins Land. 2004 begannen der Bauernverband und der Maschinenring Rhön-Grabfeld in Großbardorf mit der konkreten Planung einer Photovoltaikanlage, die damals noch etwas Besonderes war: ein Megawatt Dünnschichtmodule auf vier Hektar leicht geneigter und nach Süden ausgerichteter Ackerfläche.
Eine Million Euro Eigenkapital forderten die Banken, um den Rest des vier Millionen Euro teuren, als GmbH und Co. KG geplanten Projektes zu finanzieren. Und die Initiatoren erlebten ihre nächste Überraschung. „Eine Million, das war schon eine ziemliche Hausnummer“, erinnert sich Diestel. „Aber schon nach zwei Versammlungen und zwei Pressemitteilungen hatten wir die Summe zusammen. Und nicht von irgendwem: Von den 100 Gesellschaftern kamen 50 aus dem Ort selbst und weitere 49 aus dem Landkreis, lediglich einer ist von außerhalb.“ 2005 ging das erste Bürgersolarkraftwerk Großbardorf GmbH & Co. KG ans Netz. Die Erträge waren so gut, dass schon bei der ersten Jahreshauptversammlung der Betreibergesellschaft ein möglicher Anbau von 800 Kilowatt diskutiert wurde – und nach einer kurzfristig organisierten Informationsveranstaltung war das notwendige Eigenkapital für das zweite Bürgersolarkraftwerk Großbardorf, ebenfalls eine GmbH & Co. KG, mehr als doppelt überzeichnet. Der Multiplikatoreffekt einer Bürgersolaranlage ist eben nicht zu unterschätzen. Diestel: „Wenn 100 Menschen in eine solche Anlage investieren und ihrem Umfeld davon erzählen, beschäftigen sich auf einmal 1.000 Menschen mit dem Thema Photovoltaik.“
Bauernverband und Maschinenring wurde klar: Um als loser Zusammenschluss weiter zu agieren, sind die Projekte zu groß. Verband und Verein gründeten daraufhin 2006 die Agrokraft GmbH mit dem Ziel, die Gründung selbstständiger Unternehmen im Bereich der regenerativen Energien zu initiieren und zu unterstützen. Die Geschäftsführung teilen sich Michael Diestel und der engagierte Landwirt Mathias Klöffel. Mehrere gemeinschaftlich organisierte und finanzierte Biogasanlagen gehören zu den Projekten der Agrokraft, eine Pilotanlage zur sogenannten hydrothermalen Carbonisierung, mit der Kohle aus jeder Form von Biomasse produziert werden kann, sowie von Bewohnern der Region gemeinschaftlich finanzierte Photovoltaikanlagen nach dem Vorbild Großbardorf. Beispielsweise die Bürgersolarkraftwerke Grabfeld GmbH & Co. KG: In den Jahren 2008 und 2009 entstanden in Höchheim, Hollstadt und Kleinbardorf für 11,5 Millionen Euro drei Freiflächenanlagen mit jeweils rund einem Megawatt Nennleistung.
Trotz der hohen Investitionssummen: „Jeder, der Interesse hat, an einem unserer gemeinschaftlichen Projekte mitzumachen, soll auch mitmachen können“, betont Diestel. Mit 2.000 Euro Mindestbeteiligung hat die Agrokraft die finanzielle Hürde daher bewusst niedrig gehalten. „Wenn ich sage, jeder kann mitmachen, aber erst ab 30.000 Euro, ist das unrealistisch – und auch irgendwo unehrlich“, sagt Diestel. Aus seiner Sicht ist es bei regionalen Projekten sehr wichtig, niemanden auszugrenzen und so auch keinen Neid aufkommen zu lassen. „Neid ist die Mutter aller gescheiterten Ideen und Projekte. Denn wer sich außen vor gelassen oder benachteiligt fühlt, opponiert.“
Außen vor blieben bei der Agrokraft GmbH jedoch Vorhaben im Bereich der erneuerbaren Energien, die für eine Realisierung als eigenständige Projekte beziehungsweise für die Gründung eigener Betreibergesellschaften eine zu geringe Größe aufwiesen. Daher riefen engagierte Bürger im Juni 2008 die Friedrich-Wilhelm Raiffeisen (FWR) Energie eG ins Leben. Die genossenschaftliche Idee ist einfach: Die FWR Energie eG finanziert und betreibt unter anderem Gemeinschafts-Solaranlagen auf Dächern von Kirchen, Unternehmen, landwirtschaftlichen oder kommunalen Gebäuden. Auch diese Projekte werden in der Regel zu 25 Prozent mit Eigenkapital und zu 75 Prozent über Banken finanziert.
„So können wir Dachflächen nutzen, die sonst wegen ihrer geringen Größe außer Acht gelassen werden“, sagt Michael Diestel, der im Vorstand der Genossenschaft sitzt. Und es können Vorteile erzielt werden, die über das Finanzielle hinausgehen. Zum Beispiel für den TSV Großbardorf. Die Bayernliga-Kicker wollten ein Dach für ihre Tribüne, hatten aber kein Geld. Die FWR Energie eG wiederum wollte eine Bürgersolaranlage bauen, hatte aber kein Dach. Die Lösung brachte ein Rechenspiel mit vielen Variablen: Wie viele Gesellschafter ermöglichen bei welcher Anlagesumme und welchem Zinssatz eine Einmalmiete von 80.000 Euro, um das Tribünendach zu bauen? Antwort: 70, 2.000 Euro, mindestens drei Prozent. Ein machbares Szenario, für das letztlich sogar 42 Gesellschafter ausreichten. Im April 2010 ging die 110-Kilowatt-Anlage ans Netz, die Fans finden seitdem Schutz vor Sonne und Regen. Auch für andere, in ihrer Größe oder Umsetzung eher ungewöhnliche Varianten von Bürgersolaranlagen ist die FWR Energie eG zu haben. Auf dem Dach des Kindergartens der Kirchengemeinde Christuskirche Bad Neustadt beispielsweise entstand mit sechs Gesellschaftern eine Photovoltaikanlage für acht Kilowatt. Und in Ostheim/Rhön realisierten 30 Gesellschafter 145 Kilowatt als Bürgersolaranlage – verteilt auf mehrere Süddächer in der Stadt.
„Wenn die Struktur passt, geht alles: Biomasse-Heizanlagen, Wärmenetze, Photovoltaik, Solarthermie, Windenergieanlagen, regionale Kapitalanlage mit sauberen Zinsen, gelebte Gemeinschaft“, ist Michael Diestel überzeugt. Zum einen seien gemeinschaftliche Investitionen in nachhaltige Projekte vor Ort – egal ob als GmbH & Co. KG, als Genossenschaft oder als GbR, egal ob im ländlichen Raum oder in der Stadt – eine sinnvolle Antwort auf die Wirtschaftskrise. Zum anderen gebe es ein großes, aber bislang ungenutztes Potenzial. „Wir jammern ohne Ende, aber wir kriegen unsere PS nicht auf den Boden“, kritisiert Diestel. Enorm viel Potential, wie Bankenstatistiken zum Beispiel allein für Rhön-Grabfeld zeigen. 84.000 Menschen leben in dem Landkreis, der als benachteiligtes Gebiet gilt. Sie erwirtschaften etwa eine Milliarde Euro Einkommen im Jahr – und legen davon 125 Millionen auf die hohe Kante; ihr gesamtes privates Geldvermögen beträgt etwa 4,4 Milliarden Euro.
„Menschen sind bereit mitzumachen, wenn man ihnen Strukturen gibt, die ihnen das Mitmachen ermöglichen“, sagt Diestel, der mit seinen Mitstreitern bei Agrokraft und FWR Energie noch viele Ideen in der Region umsetzen möchte: vielfältige Projekte, geringe Hürden. Und nicht zuletzt auch vernünftige Renditen. Diestel ist überzeugt, dass bei den meisten Gesellschaftern die attraktive Verzinsung des eingesetzten Kapitals den Ausschlag gegeben hat, sich an den diversen Gemeinschaftsanlagen zu beteiligen. „Bei vielen hat allerdings doch auch noch etwas anderes eine Rolle gespielt: die Überzeugung, dass sich etwas ändern muss und sie an etwas Gutem beteiligt sind.“