Erneuerbaren droht Kollateralschaden

Investitionen in erneuerbare Energien werden für Versicherer angesichts langfristig kalkulierbarer Renditen immer attraktiver. Die EU plant mit dem Regelwerk Solvency II jedoch neue, risikoabhängige Eigenkapitalvorschriften, die diesen Trend abwürgen könnten...

Eigentlich ist die Idee nicht schlecht. Mit Solvency II will die EU für Versicherer Eigenkapitalregeln einführen, die sich an der konkreten Risikosituation der einzelnen Gesellschaften orientieren. Das soll die Unternehmen – und angesichts der vielen Lebens- und Rentenversicherungen auch die Altervorsorge ihrer Kunden – krisenfester machen. Unter dem neuen Regelwerk müssen Anbieter künftig für Versicherungsrisiken ebenso wie für Risiken aus Kapitalanlagen Eigenmittel vorhalten: Wer eine Chemiefabrik versichert, braucht dafür mehr Eigenkapital als für die Versicherung von Wohngebäuden, Aktien erfordern mehr finanzielle Puffer als Anlagen in Staatsanleihen.

Speziell die geplanten neuen Eigenkapitalvorschriften für Kapitalanlagen stoßen jedoch sowohl bei Versicherern als auch bei Finanzexperten auf Kritik – einer der Gründe, warum sich die ursprünglich für 2013 geplante Einführung von Solvency II immer weiter verzögert. Denn die neue Anlageverordnung orientiert sich am alten Anlageverhalten vieler Versicherer: Um das Geld ihrer Kunden sowohl sicher als auch langfristig anzulegen, waren bislang beispielsweise europäische Staatsanleihen das Mittel der Wahl. Geplante notwendige Eigenkapitalquote: null. Abgesehen davon, dass längst nicht alle europäischen Staatsanleihenals als sicheres Investment angesehen werden können: Die damit zu erwirtschaftenden Zinsen liegen deutlich unter dem Garantiezins für laufende Lebens- und Rentenversicherungspolicen – schließlich müssen die Versicherer auch Millionen Policen aus den 90er Jahren bedienen, die noch mit vier Prozent verzinst werden.

Für andere, höhere Renditen versprechende Anlageformen schnellen die notwendigen Eigenkapitalquoten jedoch zügig nach oben, bei Immobilien beispielsweise auf 25 Prozent. Jeder in „Global Equity“ investierte Euro soll nach dem Solvency-Strandardansatz künftig mit 39 Cent und jeder in „Other Equity“ investierte Euro sogar mit 49 Cent Eigenkapital unterlegt werden. Zu Global Equity gehören beispielsweise europäische Aktien. Und Other Equity ist ein Anlage-Sammelsurium aus Hedgefonds, Schwellenländeraktien – und erneuerbaren Energien. Klaus-Peter Flosbach, Finanzexperte der Unionsfraktion im Bundestag, bezeichnet diese Kapitalforderungen als verrückt. „In Solvency II sind eine Reihe von Fehlern drin.“ Volker Wissing, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, findet ebenfalls, dass die Anreize für Investitionen anders gesetzt werden müssten, schließlich gebe es im Energiebereich und auch bei Unternehmensanleihen eindeutig Kapitalbedarf. Und: „Die bisherige Sichtweise, Staatsanleihen sind sicher, die Realwirtschaft nicht, hält keiner Überprüfung mehr stand.“

Die Bundesregierung wäre gut beraten, diese Positionen offensiv bei der EU zu vertreten – nicht zuletzt mit Blick auf die beschlossene Energiewende. Versicherer gehören mit einem Kapitalanlagebestand von rund 1.280 Milliarden Euro zu den größten institutionellen Investoren in Deutschland – und sind auf der Suche nach Anlagen, die stabilen, kalkulierbaren und sicheren Ertrag bringen. Laut Tim Ockenga, Leiter des Bereichs Kapitalanlage beim Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), gehören Umweltinvestitionen dazu: „Versicherer sind ständig auf der Suche nach langfristigen Anlagen mit ebenfalls langfristigen und möglichst stabilen Cashflows. Und das ist bei vielen Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien der Fall.“ Der GDV kritisiert daher die von Solvency II geforderte Kapitalunterlegung von Investitionen in nachhaltige Energie- und Infrastrukturprojekte als nicht angemessen und macht sich für eine eigene Risikoklasse für grüne Investments stark. „Es wäre durchaus sinnvoll, wenn die Eigenmittelanforderungen geringer ausfallen würden“, sagt Ockenga. Armin Sandhövel, Chef der Allianz-Tochter Climate Solutions, schlägt beispielsweise eine Risikounterlegung von 20 Prozent vor, um Infrastrukturinvestments für Versicherer nicht unattraktiv zu machen. „Was ursprünglich als Instrument gedacht war, Risiken zu mindern, trübt gleichzeitig die Aussicht auf langfristige Investments. Und die sind für eine erfolgreiche Energiewende eben notwendig.“

Erneuerbare können jedoch nicht nur aus dem Atomstromzeitalter hinausführen, sondern auch aus dem Anlagenotstand. Die Allianz hat in den vergangenen Jahren rund 1,3 Milliarden Euro in 42 Wind- und Solarprojekte in Deutschland, Frankreich und Italien investiert – dem Unternehmen zufolge schätzen Versicherer an erneuerbaren Energien vor allem, dass sie ihr Geld langfristig anlegen können, die Projekte stabile Einnahmen versprechen und das Risiko, Kapital ganz zu verlieren, sehr begrenzt ist. Daher wolle die Allianz die Investitionen „zielgerichtet weiter ausbauen“. Die Münchener Rück denkt darüber nach, mittelfristig 2,5 Milliarden Euro in Erneuerbare und 1,5 Milliarden in andere Infrastrukturprojekte zu investieren – oder mehr, wenn die politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen stimmten.

Das deckt sich mit einer Studie der Steinbeis-Hochschule Berlin zu Infrastrukturinvestments bei institutionellen Investoren. Zwar ist der Anteil der Infrastrukturanlagen am Portfolio mit knapp einem Prozent sehr klein, die Summe ist aber groß – schließlich ist es ein Prozent von 1.280 Milliarden Euro. In den kommenden drei Jahren rechnen die Forscher mit einer weiteren Zunahme auf über zwei Prozent. Und während im Moment noch 25 Prozent der Institutionellen Infrastrukturinvestments im Portfolio haben, sollen es in drei Jahren schon knapp die Hälfte sein. Der Studie zufolge stehen dabei energiebezogene Projekte im Mittelpunkt. Aktuell sind die meisten Investitionen in erneuerbare Energien geflossen, zusätzliches Potenzial sehen die Unternehmen zukünftig im Bereich Leitungsnetze. Regional investieren die Unternehmen am häufigsten in Deutschland (43 Prozent), Großbritannien (29 Prozent) sowie in Italien, dem restlichen Westeuropa und den USA (je 24 Prozent). Eine Warnung enthält die Steinbeis-Studie übrigens auch: Regulatorische Änderungen – zum Beispiel Solvency II – können die Attraktivität von Infrastrukturinvestments deutlich reduzieren.

Wann das von der EU geplante Regelwerk für Versicherer kommt, ist im Moment unklar. „Der Zeitplan sollte vor allem eines sein: realistisch“, sagte Elke König, Chefin der Finanzmarktaufsichtsbehörde BaFin, beim Neujahrsempfang in Berlin. Das spreche eher für 2017 als für 2016, was im Moment die EU anpeilt. Brancheninsider berichten, dass in den Unternehmen eine neue Wette Einzug gehalten hat: Was kommt früher, der Berliner Großflughafen oder Solvency II? Schaun mer mal.