Hoch im Kurs
Die Gleichung ist einfach: ohne Silber keine Photovoltaik. Das Edelmetall ist allerdings nicht nur bei der Industrie heiß begehrt, sondern auch bei vielen Investoren. Das macht das Material zwar nicht knapp, aber teuer...
Es besitzt nicht nur die höchste elektrische Leitfähigkeit aller Metalle, eine hohe Wärmeleitfähigkeit und eine ausgeprägte optische Reflexionsfähigkeit, sondern lässt sich auch zu feinsten Folien aushämmern und zu leichtem Filigrandraht ausziehen: Silber. Kein Wunder, dass das Edelmetall auch in der Photovoltaikindustrie eingesetzt wird. Vor allem bei der Produktion kristalliner Solarzellen wird Silber verwendet, aber auch für Dünnschichtlösungen – für Front- und Rückseitenelektroden, in Lotpasten und Siebdrucktinten sowie als Nanopartikel zur Steigerung der Lichtausbeute. „Solarmodule werden wahrscheinlich eine der wichtigsten industriellen Verwendungen für Silber werden“, erwartet Jessica Cross, CEO der britischen VM Group, angesichts der weltweit wachsenden Nachfrage nach Sonnenenergie.
Allerdings ist die Solarbranche mit ihrem Silberbedarf nicht allein: Die gesamte Elektro- beziehungsweise Elektronikindustrie setzt Silber für zahlreiche Anwendungen vom einfachen Schalter über Katalysatoren und Batterien bis zum Supraleiter ein, hinzu kommen Bereiche wie die Medizintechnik, die Textilindustrie, Fotografie und Film sowie Schmuck und Silberwaren – und nicht zuletzt der Finanzsektor mit Silbermünzen und der Investmentsektor mit speziellen, oft physisch mit Silber hinterlegten Anlageprodukten. „Interessant ist, dass viele der weltweiten Sorgen und Nöte Silber förmlich in die Hände spielen. Dieses Metall scheint einfach für eine Reihe von Anwendungen am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein“, sagte Jessica Cross bei einer Konferenz der London Bullion Market Association (LBMA). „Sicherheitsfragen, die Fettleibigkeit in der westlichen Welt, das Gesundheitswesen, der Trend zu sauberen Quellen für Strom und Heizung, Themen wie Energieeffizienz oder sauberes Wasser – was auch immer, Silber gehört dazu.“
Logische Folge: Silber steigt nicht nur in der Gunst, sondern auch im Preis. Anfang Juni 2006 notierte eine Feinunze Silber (31,1 Gramm) in New York bei rund zehn US-Dollar, Anfang Juni 2011 waren es etwa 35 US-Dollar – mehr als eine Verdreifachung, die selbst Insider der Branche überraschte. Denn noch im Juli 2010 dümpelte der Kurs um wenig aufregende 18 US-Dollar je Unze. Beim Blick auf die nackten Zahlen von Angebot und Nachfrage ist diese Entwicklung noch erstaunlicher. Zwar gilt Silber als ein seltenes Element; es kommt in der Erdkruste etwa 20-mal häufiger als Gold vor und rund 700-mal seltener als Kupfer. Aber nach Daten der US-amerikanischen Marktforschungs- und Investmentbankinggruppe CPM übersteigt seit 2006 das weltweite Silberangebot die weltweite Nachfrage deutlich. Und aus Sicht des auf Edelmetalle spezialisierten Londoner Beratungshauses GFMS deutet zumindest für das Jahr 2011 nichts darauf hin, dass sich an dieser für die industriellen Interessenten eigentlich komfortablen Situation etwas ändern wird.
GFMS erwartet, dass die Silbergewinnung sowohl aus der Minenproduktion als auch aus Schrott und Recycling weiter steigt. Und im Gegensatz zu einigen anderen Metallen oder auch zu Öl sind politische Hindernisse bei der Versorgung mit dem Edelmetall nicht zu erwarten, da kein Herkunftsland als politisch instabil gilt oder eine den Markt dominierende Stellung hat. Silber als Bergbauprodukt – Silbererze werden oft zusammen mit Blei-, Kupfer- und Zinkerzen gefördert – stammte 2010 nach Angaben des Silver Institute vor allem aus Mexiko, Peru, China, Australien, Chile, Bolivien, den USA, Polen, Russland und Argentinien. Beim Recycling sind Nordamerika und Europa stark.
Laut GFMS wird die industrielle Nachfrage steigen, allerdings nur leicht: Dem Wachstum in einigen Bereichen – Beispiel Solarindustrie – steht in anderen Bereichen eine wegbrechende Nachfrage – Beispiel Fotoindustrie – gegenüber. Und die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise, die weltweit die Nachfragenach Metallen und Energie hat einbrechen lassen, sind ebenfalls noch spürbar.
Andererseits ist es eben diese Finanzkrise, die den Silberpreis in die Höhe getrieben hat und wahrscheinlich auch dort halten wird. Silber ist schließlich nicht nur ein Industrie-, sondern auch ein Edelmetall und gilt nicht von ungefähr als das Gold des kleinen Mannes. „Die Vorstellung von einem sicheren Hafen, die den Goldpreis treibt, wird auch den Silberpreis beeinflussen. Bei beiden Metallen wird der Trend in die gleiche Richtung gehen“, sagt Philip Newman, Research Director von GFMS – und Gold wird allen Prognosen zufolge wahrscheinlich weiter an Wert gewinnen.
Dem gerade von GFMS veröffentlichten Interim Market Silver Review zufolge haben Anleger im Jahr 2010 rund vier Milliarden US-Dollar in Silber investiert. Etwa 6.500 Tonnen des Edelmetalls sind in Safes und unter Kopfkissen gewandert. Zum Vergleich: Das weltweite Silberangebot lag 2010 bei gut 28.000 Tonnen, und die Photovoltaikindustrie hat rund 1.200 Tonnen verbraucht. Vor allem wegen aktueller Sorgen um Dollar und Euro erwartet GFMS übrigens im Jahr 2011 einen neuen Rekord bei der Investmentnachfrage.
Wolfgang Wrzesniok-Rossbach, Chefhändler bei Heraeus, dem deutschen Edelmetall- und Technologiekonzern mit Sitz in Hanau, hat die gleichen Gründe für den Preisanstieg identifiziert wie die britischen Consultants. „Die eigentlich preistreibenden Faktoren beim Silber sind die Käufe von Spekulanten beziehungsweise von längerfristig orientierten Investoren.“ Wrzesniok-Rossbach erwartet zwar, dass die Silbernachfrage der Photovoltaikindustrie von etwa 1.200 Tonnen im Jahr 2010 auf rund 1.800 Tonnen im Jahr 2011 steigt. Angesichts der Marktpreise sowohl für Silber als auch für Photovoltaik rechnet er aber auch damit, dass die Industrie wo immer möglich Silber durch unedle Metalle ersetzen wird. Einfach wird das nicht, schließlich sind es die erwähnten Materialeigenschaften, die Silber so begehrt machen.
Nano Markets hat eine Studie über den Markt für Silbertinten und -pasten veröffentlicht. Die US-Analystenfirma glaubt zwar, dass die Photovoltaikindustrie in der Lage ist, die Verwendung von Silber zu reduzieren. In bestimmten Bereichen sei das Metall jedoch unverzichtbar, zum Beispiel für Frontelektroden kristalliner Siliziumzellen oder die silbernen Gitter auf der Vorderseite von Dünnschicht- und organischen Photovoltaikmodulen. Daher erwartet Nano Markets, dass die Photovoltaikbranche in den kommenden Jahren etwa 1,9 Milliarden US-Dollar jährlich für Silbertinten und -pasten ausgeben wird.
Die Anbieter reagieren und versorgen die Branche mit entsprechenden Produkten. Neben einigen noch eher kleinen asiatischen Unternehmen, die den Markt gerade für sich entdecken, beherrschen vor allem Heraeus mit den Herasol-Produkten und Dupont mit der Solamet-Linie den Markt. Bei Herasol handelt es sich um siebdruckfähige Leitpasten auf Silberbasis, die zur Kontaktierung von kristallinen Siliziumzellen verwendet werden und sich dem Unternehmen zufolge durch hohe Leitfähigkeit sowie sehr gute Effizienz mit hohem Füllgrad auszeichnen. Auch Solamet, so Dupont, legt dank silberhaltiger Leitpasten die Messlatte in Sachen Effizienz höher. Es gebe Produkte sowohl für kristalline Silizium-Solarzellen als auch für Dünnschichtmodule, die die Gesamtkosten je installiertem Watt Nennleistung senken sowie Effizienz und Ertrag kristalliner Zellen steigern könnten.
Wie viel Silber tatsächlich in Photovoltaikanlagen steckt, hängt von Technologie und Hersteller ab. „Jede kristalline Siliziumzelle enthält 0,12 Gramm Silber“, hat Jessica Cross von der VM Group ausgerechnet. „In einem typischen Solarmodul stecken etwa 20 Gramm Silber“, sagt auch Rob Cockerill von Dupont Microcircuit Materials. Klingt wenig, macht aber beim aktuellen Silberkurs immerhin gut 13 US-Cent pro Watt aus – und das ist gar nicht wenig angesichts deutlich und stetig sinkender Wattpreise. Andererseits hat der Preissprung bei Silber den jüngsten Preisverfall bei Zellen und Modulen nicht verhindern können.
Dem Silver Survey der VM Group zufolge hat die Photovoltaikindustrie im Jahr 2009 etwa 18 Millionen Unzen (560 Tonnen) Silber verbraucht, 2020 könnten es bereits 70 Millionen Unzen (2.177 Tonnen) sein, sogar „unter Berücksichtigung des wachsenden Marktanteils silberfreier Dünnschicht-Solarmodule und der effizienter werdenden Verwendung von Silber“, so Cross. CPM nennt für 2010 einen Verbrauch von 64 Millionen Unzen (1.990 Tonnen) und erwartet für 2020 sogar 84,5 Millionen Unzen (2.628 Tonnen). Und die VM Group weist in ihrem Silver Survey noch auf eine weitere Sonnentechnologie hin, die Silber einsetzt und ebenso wie der Photovoltaiksektor in Zukunft wahrscheinlich mehr Silber nachfragen wird als heute: „Noch mehr Silber wird für reflektierende Spiegel von Konzentrator- oder solarthermischen Kraftwerken genutzt werden – vielleicht bis zu 60.000.000 Unzen pro Jahr im Verlauf des nächsten Jahrzehnts.“