Ohne Nichts geht nichts
Anbieter von Vakuumlösungen gehören zu den wichtigsten Ausrüstern der Photovoltaikhersteller. Einer der industriellen Pioniere dieser Technologie war im 19. Jahrhundert Ernst Leybold aus Köln. Sein Erbe findet sich bis heute auf dem internationalen Markt...
Der deutsche Naturwissenschaftler und Erfinder Otto von Guericke zeigte bereits im 17. Jahrhundert, welche Kraft das Vakuum – also eigentlich das Nichts – entwickeln kann. Mit einer einfachen Kolbenpumpe saugte er aus zwei aneinandergesetzten Halbkugeln die eingeschlossene Luft; das so entstandene Teilvakuum hielt die Halbkugeln so fest zusammen, dass selbst 16 Pferde sie nicht wieder voneinander trennen konnten. Guericke ging es damals eigentlich gar nicht um das Vakuum; er wollte die Existenz der Erdatmosphäre beweisen. Aber das bei diesem Versuch sichtbar gewordene Potenzial des Vakuums beschäftigte ihn und viele Forscher weiter.
Inzwischen ist die Vakuumtechnik eine Schlüsseltechnologie für viele Anwendungen im Anlagenbau und der Verfahrenstechnik. „Ohne Nichts geht nichts“ gilt auch für die Photovoltaikindustrie, denn Vakuumpumpen beziehungsweise Vakuumsysteme werden in allen Fertigungsschritten bei der Produktion von Solarmodulen eingesetzt – bei der Herstellung des Rohmaterials im Kristallzieh- oder Kristallgießverfahren, bei der Beschichtung der unterschiedlichsten Photovoltaikzellen, beim Laminieren, beim materialschonenden Handling der Glasplatten.
Zu den Pionieren, was die industrielle Anwendung der Vakuumtechnologie betrifft, gehört Ernst Leybold. Der damals erst 23-jährige Tausendsassa machte sich 1850 in Köln in einer Form selbstständig, die heutige Wirtschaftswissenschaftler als „lateral diversifiziert“ bezeichnen würden: Zunächst war Leybold als Spediteur, Kaffee-Importeur und Großhändler für Apothekenbedarf tätig, 1863 erweiterte er sein Angebot auf physikalische und pharmazeutische Apparate, auch eine Glasbläserei und eine mechanische Werkstatt kamen hinzu. Die Pumpen technik entwickelte sich schnell zum Hauptgeschäftsfeld des jungen Unternehmens. Dass Ernst Leybold sich bereits 1870 zur Ruhe setzte, änderte daran nichts; die Firma lief unter dem Namen E. Leybold‘s Nachfolger weiter.
1906 begann die Zusammenarbeit mit dem späteren Freiburger Physik-Professor Wolfgang Gaede, in deren Verlauf die Molekularluftpumpe (1911) und die Diffusionspumpe (1913) entwickelt wurden; seitdem steht die Vakuumtechnik im Zentrum. Das ist bis heute so geblieben, obwohl die Firmengeschichte von vielen Fusionen, Übernahmen und Verkäufen geprägt ist. E. Leybold‘s Nachfolger heißt heute Oerlikon Leybold Vacuum. Und Stückchen des ursprünglichen Kölner Unternehmens stecken inzwischen auch in anderen bekannten Anbietern – von Applied Materials bis Singulus.
Im 20. Jahrhundert standen die Zeichen vor allem auf Wachstum. Die Firma E. Leybold‘s Nachfolger wurde zunächst 1922 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, 1936 dann in eine Kommanditgesellschaft. 1948 stieg die Metallgesellschaft AG in das Unternehmen ein, 1955 folgte die Degussa AG. Und 1967 fusionierte E. Leybold‘s Nachfolger mit der Heraeus Hochvakuum GmbH, einem kleinen Teil der Heraeus-Gruppe. Deren Gründer Wilhelm Carl Heraeus hatte sich – wie Leybold – schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit den Möglichkeiten der Vakuumtechnologie beschäftigt. Anteilseigner der neuen Leybold Heraeus GmbH waren zu gleichen Teilen die Degussa AG, die Metallgesellschaft AG und die W. C. Heraeus GmbH.1976 folgte die Akquisition von Inficon, einem führendem Hersteller von Hand-Lecktestgeräten in den USA.
Als sich 1987 Metallgesellschaft und Heraeus von ihren Anteilen trennten, wandelte Degussa das Unternehmen in die Leybold AG um und schärfte ihr Profil: Aus der Leybold-Sparte Vakuum-Metallurgie/Großanlagenbau und dem Degussa-Geschäftsbereich Industrieofenbau und Durferrit-Verfahren entstand 1991 die Leybold Durferrit GmbH, aus der 1994 die ALD Vacuum Technologies GmbH hervorging. Und diese gründete 2007 das Tochterunternehmen ALD Industrie- und Montagepark Staaken GmbH – zur Produktion von Öfen zur Herstellung von Solarsilizium.
Die restliche Leybold AG wurde 1994 von der schweizerischen Oerlikon-Bührle-Gruppe übernommen, die Leybold mit der bereits in ihrem Besitz befindlichen Balzers AG zu Balzers & Leybold zusammenführte. Durch diese Fusion entstand damals eines der weltweit größten Unternehmen der Vakuum- und Oberflächentechnik. Diese Größe brachte jedoch kartellrechtliche Probleme mit sich, so dass das Balzers-Leybold-Imperium kräftig in Bewegung geriet. Pfeiffer Vacuum beispielsweise, seit 1969 Teil der liechtensteinischen Balzers-Gruppe, ging 1996 an die New Yorker Börse. Und da alle Anteile des Unternehmens platziert wurden, schied Pfeiffer Vacuum aus dem Konzernverbund wieder in die Eigenständigkeit aus.
Die Leybold AG wurde im Zuge der Übernahme zerlegt. Durch ein Management-Buy-out entstand 1995 die Singulus Technologies GmbH, die 1997 in eine AG umgewandelt wurde und sich zunächst auf die Herstellung von Maschinen und Anlagen für optische Datenträger und Speichermedien konzentrierte. Aufgrund mehrerer Übernahmen – unter anderem der Stangl Semiconductor Equipment AG, die Produktionsanlagen sowohl für Silizium-Solarzellen als auch für Dünnschicht-Solarzellen fertigte – gelang Singulus der Eintritt ins Solargeschäft. Das schaffte auch die aus der Leybold AG ausgegründete Leybold Optics GmbH im hessischen Alzenau, die seit 2001 zum Private Equity Fonds EQT gehört. Das Unternehmen für Vakuumtechnologie und optische Feinmechanik befasst sich mit der Entwicklung und Herstellung von Sondermaschinen und Anlagen zur Beschichtung von Gläsern und anderen Oberflächen mit speziellen Dünnschichten – auch zur Herstellung von Silizium-Dünnschichtzellen.
Aus dem Leybold-Lecksuchergeschäft und dem Vakuum-Komponentengeschäft von Balzers Instruments ging 1997 die Vacuum Instrumentation Group hervor, die 2000 unter dem Namen Inficon Holding AG mit Sitz in der Schweiz, Business Unit in Köln und operativem Headquarter in den USA ein eigenständiges Unternehmen wurde. Heute ist die Inficon Holding AG an der Schweizer Börse notiert und in der Entwicklung, der Herstellung und der Lieferung von Instrumenten, Sensortechnologie und Prozess kontrollsoftware für die Halbleiter- und Vakuumbeschichtungsindustrie tätig.
Weiteres Kind dieser Zeit war die Leybold Systems GmbH, die Produktionslinien für DVDs sowie die dafür notwendigen Metallisierer entwickelte und verkaufte. Aus einem Spin-off dieser GmbH entstand die Crystal Growing Systems (CGS), heute Teil des Geschäftsbereichs Solar Systems der deutschen PVA TePla AG. Dort werden in erster Linie Anlagen zur Erzeugung hochwertiger Siliziumkristalle hergestellt. Die übrige Leybold Systems GmbH firmierte dann in Multimedia Machinery GmbH um und wurde 2002 im Rahmen eines Asset Deals von Pfeiffer Vacuum übernommen. Kein sehr erfolgreicher Schritt: Bereits 2005 wurde die Pfeiffer Vacuum Systems GmbH schon wieder liquidiert.
Nachhaltiger war das Engagement der US-Firma Applied Films. Das Unternehmen der Vakuumtechnologie kaufte im Zuge der Zerlegung der Leybold AG einige Firmenbereiche von Leybold in Deutschland auf, besonders im Segment Beschichtungen von Glasscheiben und Folien mit Dünnschichten, was sich schnell zum Hauptgeschäft des Unternehmens entwickelte. Der Erfolg weckte Begehrlichkeiten: Mitte 2006 wurde Applied Films von Applied Materials für 464 Millionen US-Dollar aufgekauft.
Das Herz der Firma Leybold, das seit 2006 nach einer konzernweiten Umbenennung der schweizerischen Muttergesellschaft Oerlikon Leybold Vacuum GmbH heißt, schlägt weiter in Köln. Die GmbH ist heute einer von sechs Geschäftsbereichen des Schweizer Technologiekonzerns OC Oerlikon AG. Die Kernkompetenzen des Unternehmens liegen in der Entwicklung von Systemen zur Vakuumerzeugung und Prozessgasförderung, Kernstück dieser Techniken sind die Teile, mit denen Leybolds Erfolgskurs begann: Vakuumpumpen.
Heute ist die Vakuumtechnologie ein internationaler und hart umkämpfter Markt. Neben Oerlikon Leybold Vacuum gibt es etliche andere große Anbieter, darunter auch Applied Materials und Cookson Electronics, Ebara Precision Machinery und FHR Anlagenbau, Pfeiffer Vacuum und Roth & Rau, Tempress und Ulvac, von Ardenne und Alcatel, MTA und Sterlin SIHI, Vacom und Busch.
Das gesamte Welthandelsvolumen der Kompressoren-, Druckluft- und Vakuumpumpenindustrie lag nach Zahlen des VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau) 2008 bei insgesamt 24,3 Milliarden Euro. Deutsche Hersteller behaupten sich mit einem Welthandelsanteil von 18 Prozent an der Spitze, gefolgt von den USA (10,3 Prozent) und Italien (9,2 Prozent). Hauptabnehmerland ist China gefolgt von den USA, Frankreich und Italien. Der VDMA geht davon aus, dass die deutsche Pumpen- und Kompressorenindustrie auch 2010 ihre führende Stellung auf dem Weltmarkt verteidigen und weiter ausbauen kann.
Speziell die Hersteller von Vakuumpumpen bewegen sich jedoch in einem schwierigen konjunkturellen Umfeld. 2008 erlebten sie zwar eine Überraschung, als der knapp fünf Milliarden US-Dollar schwere Markt trotz der beginnenden Rezession um fünf Prozent zulegte. Diese Entwicklung belegen Zahlen der Association of Vacuum Equipment Manufacturers International (AVEM), der Japan Vacuum Industry Association (JVIA), der European Vacuum Technology Association (EVTA) und von Semiconductor Equipment and Materials International (SEMI), die eine gemeinsame Arbeitsgruppe für International Statistics on Vacuum Technology (ISVT) unterhalten. Ein genauer Blick in die Statistik zeigt jedoch, dass es innerhalb des Marktes gegenläufige Bewegungen gab. „2008 fing die Achterbahnfahrt auf dem Vakuummarkt an“, sagt Stephen Ormrod, ISVT-Sprecher und EVTA-Vorsitzender. „Die Nachfrage nach Vakuumtechnologie für die Produktion von Solarzellen beispielsweise ging im Verlauf des Jahres fast auf Null zurück – und im Gegensatz dazu entstand als neuer wichtiger Absatzmarkt der LED-Sektor in Asien.“
Zahlen für 2009 liegen von diesen Verbänden nicht vor, auch kein Ausblick für 2010 oder die Jahre danach. Das US-Marktforschungsinstitut Global Industry Analysts (GIA) erwartet, dass der im Moment noch rezessionsgeschwächte Weltmarkt für Kompressoren und Vakuumpumpen bis 2015 auf 13,8 Milliarden US-Dollar steigen wird. Dieses Wachstum wird aus Sicht von GIA überwiegend von der Nachfrage nach Ersatzprodukten oder nach technisch weiter entwickelten Geräten getrieben. Daher gebe es von vielen Herstellern in kurzen Abständen neue Produkte auf dem Markt, die viele Features und Funktionalitäten aufweisen, zuverlässig sind, einfach bedienbar sowie kosteneffizient. Auch der Markenname und seine Anerkennung, Breite und Tiefe des Produktangebots, Performance, Features und Funktionalitäten der angebotenen Geräte, die mögliche Integration in größere Lösungen sowie Preis-, Marketing- und Vertriebsaktivitäten und After-Sales-Kundenbetreuung werden demnach von entscheidender Bedeutung für das künftige Wachstum sein. Nach Meinung der GIA-Analysten wird der Kompressorenmarkt insgesamt das größte Segment bleiben, für den Vakuumpumpenmarkt erwarten sie jedoch die größten Wachstumsraten.
Internationale Solarmessen sind für Anbieter von Vakuumtechnologie daher wichtige Plattformen. Bei der Intersolar Europe waren 28 Vakuumunternehmen vertreten, bei der Intersolar North America waren es 33. Dem umtriebigen Ernst Leybold hätten die weltweiten Kontakte und die internationale Bedeutung seiner Produkte sicher gut gefallen – und erst recht die Erkenntnis, schon früh auf das richtige Pferd gesetzt zu haben.