Patient am Erdöl-Tropf
Der vom Öl abhängigen Weltwirtschaft droht ein schmerzhafter Entzug: Nach Berechnungen der deutschen Energy Watch Group (EWG) wurde das Maximum der möglichen Fördermenge bereits 2006 erreicht – nicht jedoch das Maximum beim Preis...
Tupi, Jupiter, Carioca – die Namen der vor Brasiliens Küste entdeckten Ölfelder sind ebenso malerisch wie die Zukunft, die Staatschef Lula da Silva seinem Land angesichts des erwarteten Reichtums prophezeit. Die Rohstoffanalysten atmeten auf: nach Jahren mit Ölsand und -schiefer endlich ein großer Fund, der die Versorgungslage verbessern, den Preis sinken lassen könnte.
Die EWG lässt diese Euphorie kalt. Die Experten vermissen geologische Daten, welche die versprochenen Volumina stützen könnten, und weisen auf die problematische Lage der Ölfelder hin. Sie teilen ohnehin nicht die grundsätzliche Hoffnung auf eine Entspannung auf dem Ölmarkt. Ihre in der Studie Global Oil Supply zusammengefasste Prognose ist ebenso klar wie düster: Das Maximum der Weltölförderung, auch Peak Oil genannt, ist demnach kein irgendwann eintretendes Ereignis, sondern wurde bereits 2006 erreicht. Und: Die sinkende Ölförderung wird bis 2030 eine Versorgungslücke aufreißen, die kaum mit anderen Energiequellen geschlossen werden kann – ein massives Problem für die Weltwirtschaft, die in vielen Bereichen am Öltropf hängt.
„Die Hoffnung auf ein Platzen der Spekulationsblase ist aussichtslos, denn es gibt keine Blase“, betont Studienautor Werner Zittel. Und auch Hans-Josef Fell, Sprecher für Energie und Technologie der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, warnt davor, an alten Denkmustern festzuhalten: „Weder Spekulanten noch Kriege noch fehlende Investitionen sind eine Erklärung für die Ölpreisentwicklung der vergangenen Jahre. Der Mangel an Öl ist das Problem.“
Die EWG bezieht mit ihrer Studie eine Position, die im Gegensatz steht zu den bisher optimistischen Prognosen der Internationalen Energie-Agentur (IEA). Grund der Diskrepanz ist die Methodik. Die IEA stützt sich vor allem auf Reservenangaben. Die EWG misstraut diesen Zahlen; zu groß ist aus ihrer Sicht die Möglichkeit, dass Förderländer und Ölkonzerne mit ihren Verlautbarungen Preise und OPEC-Quoten manipulieren wollen. Lieber konzentriert sich die EWG auf Fund- und Förderprofile. Die verbleibenden Weltölreserven schätzt die EWG daher auf 854 Mrd. Barrel, während die Produzenten von 1255 Mrd. Barrel ausgehen.
Weiteres Problem: Dem Maximum der Neufunde, das die EWG in der Mitte der 60er-Jahre datiert, folgt mit einer gewissen Verzögerung ein Maximum bei der Förderung. Das liegt an der Dynamik jeder Ölförderregion. Sobald die ersten großen Felder ihr Fördermaximum erreicht haben, müssen mehr und mehr neue und meist kleinere Felder erschlossen werden, um den Rückgang der Basisförderung auszugleichen. Diese kleineren Felder erreichen ihr Fördermaximum aber wesentlich schneller – und der Gesamtrückgang wird immer steiler.
„Die Positionen der EWG sind sehr unbequem, aber das ist auch gut so“, kommentiert Josef Auer von Deutsche Bank Research die Studienergebnisse. Er ist sicher, dass der Ölpreis weiter steigen wird. Einzige Lösung sei eine Energiestrategie, die regenerative Energien einbinde und alle Problemfelder abdecke: Wirtschaft, Umwelt, Geopolitik. Auch aus Sicht von Aribert Peter vom Bund der Energieverbraucher kann die Lösung nur „weg vom Öl“ lauten. Das stützt Axel Graf Bülow vom Bund Freier Tankstellen, der auf Biokraftstoffe hofft – trotz der gegenwärtigen Teller-Tank-Diskussion: „Die Preisexplosion bei Lebensmitteln liegt nur zu einem kleinen Teil an der erhöhten Produktion von Biokraftstoffen.“
Einfach erhöhen lässt sich die Ölförderung ohnehin nicht, wie die EWG anhand der Förderleistungen der großen internationalen Ölfirmen demonstrierte. In den vergangenen zehn Jahren konnten diese ihre Fördermenge nicht steigern, trotz vollmundiger Ankündigungen und des Anstiegs bei Nachfrage und Preis. Entsprechend beziffert die Studie die künftigen Fördermengen. Während 2006 noch 81 Mio. Barrel pro Tag erreicht wurden, rechnet die EWG 2020 mit 58 Mio. Barrel pro Tag und 2030 sogar nur noch mit 39 Mio. Für das Szenario gab es jetzt unerwartete Unterstützung: IEA-Chefökonom Fatih Birol ließ verlauten, dass sich der nächste World Energy Outlook, der im November 2008 erscheint, deutlich von allen bisherigen unterscheiden wird. Trotz Tupi, Jupiter und Carioca.