Power to the people

Viel Sonne, wenig Strom – das beschreibt die Situation vieler Menschen in Asien, Afrika und Lateinamerika. Photovoltaik-Inselanlagen können das ändern. Der wachsende Markt eröffnet auch deutschen Unternehmen neue Möglichkeiten…

Wenn Wolfgang Hofstätter erzählt, dass er sein Geld als Energie-Dienstleister in Afrika verdient, wird er oft erst einmal schräg angeschaut. „Dabei ist nichts logischer, wenn dort 80 Prozent der Bevölkerung keine oder keine stabile Stromversorgung haben“, sagt der Vorstand der Münchener Kaïto Energie AG, die vor allem in ländlichen Regionen Afrikas Anlagen zur Energieerzeugung aus regenerativen Quellen projektiert, liefert und betreibt. Notwendig sind Hofstätter zufolge Lösungen, die dem lokalen Bedarf und Verhältnissen gerecht werden. Das heißt: Das in der westlichen Welt und nicht zuletzt in Deutschland gängige Modell, bei dem eine Photovoltaikanlage an das Stromnetz angeschlossen und die erzeugte Energie eingespeist wird, ist für ländliche Regionen in afrikanischen und anderen Ländern mit schlechter Infrastruktur keine Lösung – schließlich gibt es dort in der Regel flächendeckend weder Netz noch Stromversorger, und schon gar keine Einspeisevergütung.

Dass all diese Dinge für Photovoltaikanwendungen ohnehin nicht existenziell wichtig sind, scheint die Solarbranche fast vergessen zu haben. Dabei sind netzferne Inselanlagen ihr Ursprung – in Deutschland, wo der Solarboom in den 1980er Jahren mit Erzeugung und Eigenverbrauch von Solarstrom begann, aber auch anderswo: Nach Zahlen des Photovoltaic Power System Programme (PVPS) der Internationalen Energie-Agentur (IEA) wurde 1995 in Afrika noch ein Viertel des weltweiten Photovoltaikzubaus installiert, und der globale Offgrid-Markt war damals doppelt so groß wieder Absatz netzgekoppelter Systeme. Inzwischen hat sich das Verhältnis deutlich verschoben. Von den 14.192 Megawatt Photovoltaikzubau, den die IEA in den von ihr beobachteten Ländern für das Jahr 2010 verzeichnet, gehören 94 Megawatt zu Offgrid-Projekten; und von den Ende 2010 erreichten 34.953 Megawatt installierter Photovoltaikleistung arbeiten 980 Megawatt in netzfernen Anlagen.

Trotzdem, so die IEA in ihrem aktuellen Trendreport: „Der Offgrid-Markt selbst ist gesund, verzeichnet seit Jahrzehnten ein anhaltendes, solides Wachstum und unterliegt nicht wie die netzgekoppelte Photovoltaik politischen Launen und Höhenflügen.“ Das bestätigt Simon Rolland, Generalsekretär der Alliance for Rural Electrification (ARE), und fügt einen weiteren Aspekt hinzu: „2011 war ein schwieriges Jahr für die Wirtschaft insgesamt und auch für den Sektor der erneuerbaren Energien. Der wirtschaftliche Abschwung hat in Europa und anderswo zu deutlichen Förderkürzungen für netzgekoppelte Erneuerbare geführt, die in den vergangenen Jahren als Booster der gesamten Branche galten. Allerdings wurden die Entwicklungsländer und der Offgrid-Sektor von diesem Abschwung weniger berührt.“ Als Beispiel führt Rolland die Investitionen in Erneuerbare in Afrika an, die sich von 730 Millionen Dollar im Jahr 2004 auf 3,6 Milliarden Dollar im Jahr 2011 verfünffacht hätten. Das sei zwar im Vergleich zu den weltweiten Investitionen immer noch wenig, zeige aber, dass der afrikanische Markt anziehe. Auch in Asien wachse die Unterstützung für Offgrid-Lösungen, Indiens National Solar Mission sei dort ein besonderes Zugpferd. Das Ziel: 22 Gigawatt Photovoltaik, davon zwei Gigawatt Offgrid, bis zum Jahr 2022. Die US-amerikanische Denkfabrik World Resources Institute schätzt, dass der indische Markt für offgrid verteilte Energie ein Volumen von zwei Milliarden Dollar pro Jahr hat – und so gut wie unerschlossen ist.

Der politische Wille, mithilfe der Photovoltaik Strom in noch nicht erschlossene Regionen zu bringen, ist in vielen Ländern vorhanden. Das zeigt die Untersuchung „Netzferne Stromversorgung und weltweite Elektrifizierung“ von den Fraunhofer-Instituten für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) und für Solare Energiesysteme (ISE), ARE und SMA. Demnach laufen derzeit weltweit vor allem Programme zur massiven Verbreitung von Solar Home Systems (SHS), neben Indien und Südafrika beispielsweise auch in Argentinien, Bangladesch, Bolivien, China und Marokko. Die Möglichkeit, mit SHS verstreut siedelnde Haushalte dezentral, einfach und eigenständig mit Strom zu versorgen, gilt als besonderer Vorteil dieser Technik. Denn im Gegensatz zu zentralen Anlagen können diese Systeme im Besitz der Endnutzer sein, was den Koordinationsaufwand gegenüber Konzepten mit zentraler Versorgung deutlich verringere. Und für mehrere Abnehmer können der Untersuchung zufolge Dorfnetze beziehungsweise Mini-Grids eingesetzt werden, was das Lastprofil nivellieren und die Versorgungssicherheit erhöhen soll. Selbst die Slowakei stellt über ihren Klima- und Energiefonds Zuschüsse für solche Inselanlagen zur Verfügung, meldet der europäische Photovoltaikindustrie-Verband EPIA – eher ungewöhnlich für Europa, wo 99 Prozent der installierten Solarkapazität am Netz hängt.

Aber nicht nur die Politiker, auch die Unternehmen schenken dem Offgrid-Sektor neue Aufmerksamkeit. Dass dieses Marktsegment für die Solarbranche interessant sein könnte, hatte schon 2009 eine entsprechende Studie von EuPD Research gezeigt. Um auf Gehör zu stoßen, liefen die Geschäfte in den etablierten Märkten zu dem Zeitpunkt jedoch offenbar noch zu gut. Das ändert sich gerade. Photovoltaik-Schwergewicht Solarworld beispielsweise hat sich im Dezember erstmals auf einer Messe in Indien präsentiert – unter anderem mit speziell an den Markt angepassten Offgrid-Komplettlösungen.

Speziell an den Markt angepasst – das scheint der Schlüssel zu sein. Für Kaïto bedeutet das Lösungen, die für die Bevölkerung bezahlbar und bei steigendem Bedarf ausbaufähig sind. Das Unternehmen setzt auf ein modulares Konzept aus unterschiedlichen Bausteinen, das von der solaren Ladestation über Batteriekoffer und individuelle Anlagen für Haushalte, öffentliche Einrichtungen oder Kleinbetriebe bis hin zu einem lokalen Netz reicht. Vor Ort ist dabei Fingerspitzengefühl gefragt. „Die Akzeptanz von Solarstrom ist nicht immer automatisch gegeben“, sagt Benedikt Böhm, der bei Donauer für Offgrid-Projekte zuständig ist. „Durch die Bereitstellung von PV-Energie löst man bereits bestehende Versorgungsstrukturen, wie zum Beispiel durch Dieselgeneratoren, auf. Daher betrachtet Donauer solche Projekte ganzheitlich und legt großen Wert auf die nachhaltige Einbindung von lokalen Ressourcen und Wertschöpfung vor Ort.“ Diese Beteiligung schafft Verantwortung. Daher hält Böhm es auch nicht für den richtigen Ansatz, Photovoltaiksysteme zur Elektrifizierung zu verschenken. „Langfristig muss die Pflege und Instandhaltung der Anlage von lokalem Interesse sein. Und nur wenn die Energieauch etwas kostet, erhält sie die angemessene Wertschätzung.“

„Bei Projekten im Offgrid-Bereich ist es fundamental wichtig, direkte Kontakte zu den entscheidenden Firmen im jeweiligen Land zu haben“, ergänzt Frank Heise, Leiter des Bereichs Stand Alone Systems bei Centrosolar. „Ohne Kontakte läuft nichts. Deutsche Technologie und unser Photovoltaik-Know-how werden hoch angesehen, aber man braucht vor Ort immer jemanden, der die lokale Umsetzung macht. Um diesen Kontakt zu finden und aufzubauen, ist oft ein langer Atem nötig.“ Aspekte wie Beteiligung und Verantwortung sind unter anderem der Grund, warum Phaesun nicht auf Dorfnetze setzt, sondern auf individuelle Stromerzeugung. „Es gibt im Offgrid-Bereich zwei Philosophien: eine Versorgung über ein Netz oder dezentrale Lösungen wie SHS oder PicoPV“, sagt Marketingleiterin Géraldine Quelle. Bei Netzen, selbst bei Mini-Grids, sieht sie vor allem Nachteile. „Wenn etwas kaputt geht, sind alle betroffen. Wenn einer mehr verbraucht, als ihm zusteht, ist Ärger vorprogrammiert. Und es ist eine Verwaltungsstruktur nötig, was nicht nur Abläufe verkompliziert, sondern auch Geld kostet.“ Probleme, die nicht entstehen, wenn jeder Verbraucher seine eigene Anlage hat. Außerdem: „Auch individuelle Erzeugungssysteme lassen sich leicht erweitern, wenn der Bedarf des Haushalts steigt. Daher gibt es einfach keinen Grund, Netze zu bauen.“

Ähnliche Probleme in Sachen Elektrifizierung verzeichnen die Vereinten Nationen, die 2012 zum Internationalen Jahr der erneuerbaren Energien für alle ausgerufen haben. Arbeitsgruppen arbeiten an Konzepten, wie weltweit bis spätestens 2030 der Zugang zu Energie gewährleistet werden kann. Und während aus Sicht der zuständigen UN-Arbeitsgruppe SHS als unproblematisch gelten, ist im Bereich Dorfnetze oder Mini-Grids noch viel zu tun. Nicht umsonst gilt der Bereich zwischen Netzausbau und dezentralen Lösungen als „missing middle“ bei der Elektrifizierung. Vor allem fehlen der Arbeitsgruppe zufolge tragfähige Finanzierungsmodelle. Das ist auch die Erfahrung von Volker Wachenfeld, Executive Vice President Offgrid Solutions bei SMA. Das Unternehmen verzeichnet ein moderates Wachstum des Offgrid-Marktes, besonders in Westafrika, aber auch in Südostasien steige die Nachfrage. „Für deutsche Unternehmen bieten sich hier gute Chancen“, sagt Wachenfeld. „Allerdings muss man die Strukturen vor Ort ebenso wie die lokalen Akteure gut kennen. Und die größten Hindernisse befinden sich nach wie vor im Bereich der Finanzierung.“

Das bestätigt die Untersuchung von IWES, ISE, ARE und SMA. SHS werden in erster Linie über Mikrokredite finanziert, die auch armen, ländlichen Bevölkerungsschichten den Erwerb von kleinen Anlagen ermöglichen. In Bangladesch hat die Bank Grameen Shakti über Mikrokredite schon über 200.000 SHS finanziert. Der notwendige finanzielle Spielraum entsteht, da Ausgaben für Kerosin oder Diesel gespart werden, womit bislang die Stromgeneratoren betrieben werden. Für Haushalte in Afrika gelten Photovoltaikanlagen bei Stromgestehungskosten von 25 bis 30 Eurocent je Kilowattstunde als wirtschaftlich, in Indien liegt die Grenze etwa bei 15 bis 23 Cent. Allein für Indien schätzen Experten, dass zukünftig etwa 16 Gigawatt Dieselgenerator-Kapazität durch Photovoltaikanlagen ersetzt werden könnten. Weitere gängige Finanzierungsmodelle sind Leasingverträge wie bei Solarluz in Brasilien oder der Ansatz „Fee for Service“, der unter anderem in Marokko verfolgt wird.

Dorfnetze jedoch tragen sich der Untersuchung zufolge wegen des sehr geringen Einkommensniveaus vor Ort in der Regel nicht selbst, es sind zumindest Zuschüsse zu den Anschaffungskosten erforderlich. Auf solche Zuschüsse, kombiniert mit die Betriebskosten deckenden Tarifen für den Endkunden, setzen beispielsweise viele Rural Electrification Agencies in Afrika. In der Praxis habe sich jedoch oft gezeigt, dass durch die geringe Zahlungsfähigkeit oder Zahlungswilligkeit der Nutzer der Geldfluss dieser Projekte hinter den Erwartungen zurückbleibt. Der Zeitpunkt, an dem Batterien ersetzt werden müssen, gilt daher als kritisch für die Nachhaltigkeit dieses Finanzierungsmodells.

Das Joint Research Centre der Europäischen Kommission (JRC) hat angelehnt an das Modell einer Einspeisevergütung ein speziell auf Mininetze zugeschnittenes Vergütungskonzept entwickelt. Der Regulated Purchase Tariff (RPT) soll unabhängigen Elektrizitätserzeugern sowohl einen starken Anreiz zum ununterbrochenen Betrieb des Systems als auch finanzielle Spielräume für Reparatur und Ersatz von Systemkomponenten geben: Je erzeugter Kilowattstunde fließt nicht nur ein Nutzerentgelt, sondern auch eine staatliche Vergütung. Eine Erprobung dieses Modells in der Praxis steht allerdings noch aus.

Simon Rolland sieht über Finanzierungsmöglichkeiten hinaus noch in weiteren Bereichen Handlungsbedarf. Zum einen müssten die Verbraucher von Offgrid-Strom dafür sensibilisiert werden, die erzeugte Energie möglichst effizient einzusetzen – das betreffe sowohl das Verhalten jedes Einzelnen als auch den Einsatz möglichst energiesparender Geräte. Zum anderen müssten die Systempreise weiter sinken – eine Entwicklung, die wegen der Skaleneffekte vor allem von einem weiteren Ausbau der netzgebundenen Photovoltaik abhänge. Und außerdem müssten Speicherlösungen besser und billiger werden – nur ein leistungsfähiger und günstiger Speicher mache den Betrieb einer Offgrid-Anlage langfristig und nachhaltig möglich. Insgesamt ist Rolland jedoch optimistisch. „Offgrid-Systeme sind bereits heute ausgereifte, zuverlässige und kostengünstige Lösungen für die ländliche Elektrifizierung. Ihre Attraktivität wird noch weiter steigen, wenn in den kommenden Jahren die Technik voranschreitet und die Kosten sinken.“ Dann wird auch niemand mehr erstaunte Blicke ernten, der als Energiedienstleister in Afrika oder anderen schwach entwickelten Regionen tatsächlich Geld verdient.