Raus aus den Silos!

Das moderne Energiemanagement von Immobilien und Quartieren setzt auf künstliche Intelligenz, um Auswertungen, Simulationen und Prognosen in Echtzeit zu ermöglichen. Anlagen und Gebäude müssen dafür Daten bereitstellen und mit den IT-Plattformen interagieren können.

Der Berliner Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Adlershof (Wista) gilt zurzeit als größter Technologiecluster Deutschlands. Rund 1270 Unternehmen haben sich auf der 4,6 Quadratkilometer großen Fläche angesiedelt, auch Hotels, Restaurants und Geschäfte, Wohnungen und Kitas befinden sich auf dem Gelände. Zusammen mit dem Berliner IT-Start-up Urban Energy und dessen Software „ZeroC“ arbeitet das Wista-Management an dem Ziel, das gesamte Quartier CO2-neutral zu machen.

Erster Schritt: eine umfassende Datenerfassung. Dazu werden in den Gebäuden des Standorts Smart Meter und Sensoren installiert, deren Daten einheitlich auf der Plattform von Urban Energy gesammelt werden. So lässt sich zudem ein Digitaler Zwilling des Immobilienbestandes abbilden. Die Energie- und CO2-Bilanzen werden dann gemäß geltender Normen berechnet und über Dashboards auf Gebäude- und Quartiersebene visualisiert. Das eröffnet zum einen die Möglichkeit, automatische Berichte nach gängigen Formaten zu erstellen – bislang kostet das Zusammensammeln der zugrundeliegenden Daten aus verschiedensten Datensilos oft noch viel Zeit. Zum anderen können mit Hilfe künstlicher Intelligenz verschiedene Optimierungs- und Ausbaumaßnahmen zunächst in Echtzeit simuliert werden, um mit den Ergebnissen dieser Simulationen die optimale Lösung für die Erfüllung der individuellen Klimaziele zu bestimmen.

Beim Mausklick auf eines der Gebäude auf der Plattform erscheinen übersichtlich aufbereitete Betriebsdaten: Energieverbräuche aufgeschlüsselt nach Strom und Wärme, verursachte Emissionen als CO2-Äquivalente, Verbräuche von weiteren Betriebsstoffen. Vieles davon sind reale Werte, die fortlaufend aktualisiert werden, teils über digitale Zähler im Viertelstundentakt, teils aber auch in deutlich größeren Zeitabständen nach manuellen Ablesungen oder mithilfe von Betriebskostenabrechnungen. Für viele Gebäude fehlen jedoch noch nutzbare Energiedaten, weil es längst nicht überall digitale Zähler und eine geeignete Gebäudeleittechnik gibt – oder weil die Bereitschaft fehlt, die entsprechenden Informationen zu teilen. Der Blick auf den digitalen Zwilling von Adlershof zeigt damit neben zentralen Daten auch ein zentrales Problem: Viele Daten von Energieverbräuchen lagern ungenutzt in den Gebäuden.

„Besser wäre es natürlich, konkret zu wissen, was täglich passiert“, sagt Paul Dittrich, Gründer und Chef von Urban Energy. „Erst dann kann man beispielsweise den Verbrauch mit der Erzeugung von Energie synchronisieren und Synergien für eine höhere Energieeffizienz nutzen.“ Denn inzwischen seien der reine Energieverbrauch und die Energieeffizienz weniger wichtig als die Frage der CO2-Emissionen. Daher berücksichtige die Software auch den Quellenmix der verbrauchten Energie. Und während es bei fossilen Quellen vor allem um Verbrauchssenkung gehe, sei es bei erneuerbaren Quellen wichtiger, den Verbrauch intelligent und möglichst echtzeitnah zu managen – und die Energie dann zu nutzen, wenn sie verfügbar ist.

Diese ungenutzten, zum Teil bisher nicht einmal erhobenen Daten beschäftigen auch Andreas Wilde. Im Bereich Entwicklung Adaptiver Systeme (EAS) des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen (IIS) arbeitet er an der Anwendung von KI in Gebäude-Energiesystemen – von der automatischen Selbstkonfiguration von Energiemanagementsystemen und der automatischen Erzeugung digitaler Zwillinge über einfache, schnell anwendbare Monitoring-Services bis hin zu komplexen, prognose-basierten Betriebsfahrplanoptimierungen. „Der Markt braucht eine ganzheitliche Lösung, die den gesamten Nachhaltigkeitsprozess von Gebäuden abdeckt“, sagt Wilde. „Die erste Herausforderung ist dabei die Umwandlung von unstrukturierten Gebäudedaten in ein maschinen-verständliches Format. Denn ich besitze nur das, von dem ich weiß, dass ich es besitze.“

Die schiere Menge und auch die zunehmende Komplexität der Daten und Prozesse treiben den Bedarf nach Effizienz und Automatisierung. „Künftige Gebäudeenergiesysteme sind von Hand nicht steuerbar“, so Wilde. Stattdessen müssten KI-Bereiche wie etwa das Deep Learning, das künstliche neuronale Netze für die Bearbeitung großer Datenmengen nutzt und in der Lage ist, von sich aus zu lernen, in die Systeme integriert werden. KI könne zudem die Kosten für Monitoring und Optimierung drastisch senken.

In Adlershof und anderswo wird sich die Datenverfügbarkeit mit dem verpflichtenden Smart-Meter-Rollout ändern. Zudem steigt der Druck auf die Unternehmen, die für ihre Reporting-Pflichten aktuelle Energie-Verbrauchsdaten benötigen. Für die Wista-Quartiersbilanz behilft sich die Software „ZeroC“ derweil mit Simulationen: Das System lernt, wieviel Energie vergleichbare Immobilien wann verbrauchen, und überträgt diese Erkenntnisse auf Gebäude, die aktuell noch keine Echtzeit-Daten liefern. Mit einem wachsenden Volumen realer Daten hat das System aber kein Problem: Es ist skalierbar.