Good Vibrations?

Schleifmaschinen und Bohrhämmer, Hubwagen und Lkw, Motorräder und Pedelecs – alle übertragen bei der Nutzung mechanische Schwingungen auf den menschlichen Körper. Sind die Vibrationen zu stark oder dauern sie zu lange an, können sie Knochen- und Gelenkschäden sowie Durchblutungsstörungen verursachen. Bei vielen modernen Geräten wird daher der Vibrationsschutz schon bei der Entwicklung mitgedacht.

Das zweitbeste aller Gefühle, the second best feeling – so beschrieb Continental einmal in einer Werbekampagne das Motorradfahren. Fragt man MBike-Fans nach diesem Gefühl, ist oft vom „Charakter“ ihrer Maschine und der „Seelenmassage“ beim Fahren die Rede. Gemeint sind damit die Vibrationen, die an fast jedem Motorrad mehr oder weniger stark auftreten. Je nach Frequenz und Stärke können diese Schwingungen allerdings auch anstrengend und nervig sein, spätestens wenn nach einer längeren Fahrt die Finger kribbeln und die Füße einschlafen.

Jürgen Adamek, Professor für Konstruktionstechnik an der Hochschule Osnabrück, hat die mechanischen Schwingungen genauer untersucht, die über Lenker, Fußrasten und Sitzbank übertragen werden. Basis seiner Analyse waren Motorräder im Dienstgebrauch bei der Polizei und der Johanniter Unfallhilfe. Die Messungen zeigten sowohl im Hand-Arm- als auch im Ganzkörperbereich Schwingungswerte, die zum Teil deutlich jenseits der gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte lagen. Die Vibrationen werden einerseits entlang der vertikalen Achse über die Basis und die Rückseite des Sitzes auf das Gesäß und den Rücken und andererseits über die Pedale und die Lenkergriffe auf die Füße, Hände und Arme übertragen.

„Viele Fahrer bemerken Auswirkungen auf den Körper, doch die meisten empfinden die Vibrationen nicht als Problem”, so Jürgen Adamek. Dabei könnten die Schwingungen nicht nur langfristig zu verschiedenen Erkrankungen führen, sondern auch kurzfristig die Leistungsfähigkeit insgesamt beeinträchtigen, wodurch sich das Unfallrisiko erhöhe. Etliche Hersteller statten daher die Lenkerenden und Fußrasten mit zusätzlichen Gewichten aus oder befestigen die Motoren in Gummilagern, um Schwingungen zu reduzieren – auch wenn das die Maschine „Charakter“ kostet.

Jenseits der Bikerszene würde ohnehin kaum jemand diesen euphemistischen Begriff verwenden, um das Vibrieren eines Fahrzeugs oder Werkzeugs zu beschreiben. Viele empfinden die Schwingungen vielmehr als unangenehm oder zumindest als ermüdend, außerdem sind vibrierende Geräte häufig auch laut. Daher hat die Reduktion dieser Eigenschaft für die Unternehmen einen hohen Stellenwert. Hinzu kommt der Gefährdungsaspekt. Der US-Produzent Standley Black & Decker, der unter anderem mit der Marke Dewalt in Deutschland vertreten ist, weist darauf hin, dass EU-weit etwa 25 Millionen Menschen im regelmäßigen Kontakt mit starken Vibrationen sind.

Demnach laufen davon mehr als fünf Millionen Menschen ernsthaft Gefahr, durch Hand-Arm-Vibrationen gesundheitliche Schäden zu erleiden. Das Unternehmen schätzt, dass durch Humanschwingungen verursachte Krankheiten EU-weit bis zu fünf Milliarden Euro im Jahr kosten, in Deutschland sei von rund 500 Millionen Euro jährlich auszugehen.

Dabei können schon kleine technische Änderungen eine große Entlastung bedeuten. Elektrowerkzeugherstellers Milwaukee gibt an, mit seinem Anti-Vibrations-System (AVS), das etwa in Bohr- und Meißelhämmern sowie Schlagbohrmaschinen steckt, die Belastung um bis zu 50 Prozent reduzieren zu können. Ziel solcher AVS ist es, die Übertragung von Schwingungen auf die Hände und Arme zu verringern, etwa indem im Gerät verschiedene Teile ganz voneinander entkoppelt oder mit dämpfenden Materialien verbunden werden. Bei Winkelschleifern ist es laut Milwaukee beispielsweise möglich, mit Hilfe eines sogenannten Autobalance-Systems die Vibrationen um bis zu 70 Prozent zu verringern. Ein solcher automatischer Unwuchtausgleicher ähnelt einem Kugellager und sitzt auf oder in der Nähe der Antriebswelle. Frei bewegliche Kugeln in seinem Inneren wirken den Unwuchten der Schleifscheibe entgegen und gleichen sie so kontinuierlich aus. Hilfreich sind dem Hersteller zufolge auch Softgrip-Auflagen auf den Handgriffen von Elektrowerkzeugen. Deren dämpfender Effekt wird bei Milwaukee mit einem zusätzlichen Luftpolster zwischen Gerätegehäuse und Softgrip weiter erhöht. Dieser minimale Abstand verhindert eine Weitergabe der Vibrationen an die Auflagefläche.

Entkoppeln, dämpfen, polstern – diese Ansätze finden sich nicht nur beim Schutz gegen Hand-Arm-Vibrationen, sondern auch im Bereich der Ganzkörper-Schwingungen. Für Nutzfahrzeuge und Arbeitsmaschinen wie Lkw oder Busse, Gabelstapler oder Landmaschinen gibt es bereits seit Jahren schwingungsdämpfende luftgefederte Sitze, die im Idealfall über eine automatische Gewichtseinstellung verfügen. Und auch für Geräte, die im Stehen bedient und gefahren werden und bei denen aus Gründen der Standsicherheit die Schwingungen nicht über das Fahrwerk abgefangen werden können, gibt es Lösungen. Von Linde Material Handling kommt beispielsweise ein Niederhub-Kommisionierer mit einem vollständig gefederten Fahrerarbeitsplatz. Diese Federung soll die über Lenkrad und Fahrerstand wirkenden Humanschwingungen um rund 30 Prozent senken. Mit einer Reduktion um 40 Prozent wirbt Still bei einem Niederhubwagen mit luftgedämpfter Standplattform, die sich individuell auf das Körpergewicht des jeweiligen Beschäftigten einstellen lässt.

Verstärkt in den Fokus des Vibrationsschutzes rückt zurzeit ein weiteres Fahrzeug: das Lastenpedelec, das vor allem in städtischen Bereichen von immer mehr Branchen genutzt wird, etwa vom Zustelldiensten, dem Handwerk und der ambulanten Pflege. Das Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsgestaltung Nordrhein-Westfalen (LIA) hat die Vibrationen untersucht und kritisiert, dass in den Betriebsanleitungen vieler Räder noch entsprechende Daten fehlen, obwohl die Maschinenverordnung die Angabe vorschreibt. Maximale Einsatzzeiten und Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten seien so nur schwer zu ermitteln. Dabei kommt es den LIA-Ergebnissen zufolge bei Lastenpedelecs zu Problemen, die an die Vibrationsbelastung auf einem Motorrad erinnern: zu Ganzkörper-Schwingungen über Sattel und Pedale sowie zu Hand-Arm-Vibrationen über den Lenker.

Ausschlaggebend für das Ausmaß der Schwingungen ist vor allem die Fahrbahnoberfläche, also ob die Route vor allem über Kopfsteinpflaster führt oder über asphaltierte Straßen und wie viele Schlaglöcher und Bordsteinkanten unterwegs genommen werden müssen. Wieviel Gerüttel beim Menschen ankommt, hängt dann von mehreren Faktoren ab, etwa dem persönlichen Fahrstil, dem Reifendruck und der Ausstattung des Gefährts mit Federungen, dem Körpergewicht der Fahrenden und dem Gewicht der Zuladung. Insgesamt, so das ILA, seien bei Lastenpedelecs die Vibrationen als nicht vernachlässigbar zu betrachten – noch so eine „Seelenmassage“ also, vor der Unternehmen ihre Beschäftigten schützen müssen.

Humanschwingungen

Humanschwingungen sind als die Einwirkung mechanischer Schwingungen auf den menschlichen Körper definiert. Diese Wirkung hängt von Frequenz, Stärke, Art und Richtung der Schwingung sowie der Belastungsdauer ab, hinzu kommen individuelle Aspekte wie Alter und körperliche Voraussetzungen. Am häufigsten sind neben den Ganzkörper-Schwingungen, die auf den ganzen Körper wirken, die Hand-Arm-Schwingungen, die vor allem Hände und Arme betreffen.
Ganzkörper-Schwingungen werden am häufigsten über Sitze oder Böden verschiedenster Fahrzeuge übertragen. Sie werden oft mit Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule in Verbindung gebracht, außerdem mit Müdigkeit und Kopfschmerzen, Seh- und Gleichgewichtsstörungen sowie der sogenannten See- und Luftkrankheit. 
Hand-Arm-Schwingungen gehen meistens mit der Verwendung handgeführter vibrierender Werkzeuge und Geräte einher. Sie beeinträchtigen die Nerven, Blutgefäße, Muskeln und Gelenke der Hände und Arme, was unter anderem zu Kribbeln und Taubheit in den Fingern, einer Verminderung der Griffkraft und des Tastsinns sowie einer Beeinträchtigung der Blutzirkulation führen kann, dem sogenannten vibrationsbedingten vasospastischen Syndrom, auch „Weißfingerkrankheit“ genannt. Typische Probleme sind zudem der sogenannte Mondbeintod oder der Ermüdungsbruch des Kahnbeins im Handwurzelbereich.

Richtlinien und Verordnungen

Die Richtlinie 2002/44/EG soll Beschäftigte an ihrem Arbeitsplatz vor der Gefährdung durch mechanische Schwingungen bewahren. Seit Inkrafttreten besteht für Unternehmen europaweit die Verpflichtung, Arbeitsplätze mit Vibrationseinwirkung in Bezug auf die Gefährdung von Beschäftigten zu beurteilen und diese vor entsprechenden gesundheitlichen Risiken zu schützen. Deutschland hat die Richtlinie im Jahr 2007 mit der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV) umgesetzt. Darin werden unter anderem Expositionsgrenzwerte und Auslösewerte für Vibrationen sowie Maßnahmen zur Vermeidung und Verringerung der Exposition festgelegt. 
Die EG-Maschinenrichtlinie verpflichtet Hersteller dazu, Maschinen so zu konstruieren und zu bauen, „dass Risiken durch Maschinenvibrationen insbesondere an der Quelle so weit gemindert werden, wie es nach dem Stand des technischen Fortschritts und mit den zur Verringerung von Vibrationen verfügbaren Mitteln möglich ist.“ Außerdem müssen sie konkrete Angaben zur Emission von Lärm und Vibrationen machen. Vibrationskennwerte werden in den technischen Datenblättern in Meter pro Quadratsekunde (m/s²) angegeben, der Einheit für Beschleunigung. Im Bereich der Hand-Arm-Vibrationen beispielsweise gelten Werte bis zu 2,5 m/s² als unproblematisch. Bei höheren Werten muss die Einschaltzeit berücksichtigt und einberechnet werden, also die Zeit, in der mit dem Gerät tatsächlich gearbeitet wird. Bei schweren handgeführten Werkzeugen wie Abbruchhämmern müssen dann unter Umständen Einsatzzeiten verkürzt werden.