Gut zu(m) Fuß
Sicherheits-, Schutz- und Berufsschuhe müssen nicht nur zum Arbeitsplatz des Trägers passen, sondern auch zu seinen Füßen. Verschiedene Modellvarianten und Messverfahren ebnen den Weg zum richtigen Schuh...
„Der Fuß ist ein Kunstwerk aus 26 Knochen, 19 Muskeln und 107 Bändern“, wusste schon Leonardo da Vinci: „Ein Kunstwerk braucht einen Rahmen, keinen Käfig.“ Nun hat jeder Schuh einen Rahmen, dieser verbindet schlicht Schaft und Sohle. Aber auch dieser Rahmen kann zum Käfig werden – wenn er nicht zum Fuß passt. Und Füße sind sehr unterschiedlich. Zum einen ist die menschliche Anatomie ohnehin sehr individuell, zum anderen leiden nicht wenige unter Fußfehlstellungen oder müssen beispielsweise wegen Diabetes oder Rheuma ihre Füße besonders im Auge behalten. Der demografische Wandel spielt ebenfalls eine Rolle: Etwa ab dem 40. Lebensjahr sorgen verminderte Muskulatur und ausgeleierte Bänder für Veränderungen am Fuß, die sogar zu Knick‐, Senk‐ und Spreizfüßen oder Beschwerden im oberen Bewegungsapparat führen können. Zudem werden die mit zunehmendem Alter die Fettpolster am Fuß dünner, was die Füße druckempfindlicher macht.
Unpassendes Schuhwerk ist nicht nur unbequem, sondern kann handfeste Folgen haben – von Druckstellen bis zu Rücken- und Gelenkproblemen. Das erschwert nicht nur die Konzentration auf die jeweilige Tätigkeit, sondern kann unter Umständen sogar dazu führen, dass die Sicherheit im Betrieb beeinträchtigt wird, wenn Beschäftigte ständig Schmerzen haben oder sich in den Schuhen nicht gut bewegen können. Und im schlimmsten Fall werden schlecht passende Sicherheits-, Arbeits- und Berufsschuhe, in denen die meisten Beschäftigten mehr Zeit verbringen und mehr Kilometer zurücklegen als in ihren privaten Schuhen, gar nicht erst getragen.
Wie wichtig optimal zu den Füßen passendes Schuhwerk bei Beschäftigten ist, betonen Mediziner und Berufsgenossenschaften daher schon seit Jahren. Wirtschaftsingenieurin Ulrike Noll hat in ihrer Dissertation viele relevante Faktoren zu diesem Thema untersucht. Vor allem ging es ihr um Möglichkeiten der Prävention von Erkrankungen am Stütz- und Bewegungsapparat durch passende Sicherheitsschuhe, was sie exemplarisch an Beschäftigten der Automobilindustrie untersucht hat. Ergebnis: Wenn die Beschäftigten ergonomische, gut sitzende Sicherheitsschuhe tragen, reduziert das die Belastungen des Bewegungsapparates deutlich – ablesbar unter anderem an Faktoren wie Körperhaltung und Fußdruckwerten. Zudem bestätigte das subjektive Komfortempfinden der Probanden die Messergebnisse.
Hersteller von professionellem Schuhwerk bieten daher nicht nur eine große Vielfalt an Modellen an, sondern häufig auch etliche verschiedene Passformen. Neben der Länge variieren diese in der Breite, bei Zehenkappe und Biegezonen, Dämpfung, Nähten und Schnürung. Anbieter Baak beispielsweise hat sein System gemeinsam mit dem Biomechanik-Professor Gert-Peter Brüggemann entwickelt, der viele Jahre lang das Institut für Biomechanik und Orthopädie an der Deutschen Sporthochschule Köln leitete. Und Elten hat mit dem Universitätsklinikum Tübingen und dem Messtechnik-Spezialisten Vialux zusammengearbeitet und in Feldstudien mehrere tausend Füße von Beschäftigten in Industrie und Automobilproduktion vermessen, um Modelle mit optimierten Passformen herstellen zu können.
Wie aber findet man inmitten der Vielfalt den passenden Schuh? Im privaten Bereich gelingt das vielen Menschen nicht. Dem Deutschen Schuhinstitut zufolge laufen in Deutschland 82 Prozent der Bevölkerung in Schuhen, die ihnen nicht richtig passen. Daher bieten Hersteller und Händler von Sicherheits-, Schutz- und Berufsschuhen als Service oft die Vermessung der Mitarbeiterfüße an – mit analogen oder digitalen Mitteln. Ob und welche Kosten für einen solchen Vor-Ort-Einsatz entstehen, ist sehr unterschiedlich und muss individuell geklärt werden.
Die Firma Carl Nolte beispielsweise setzt zur Weiten- und Längenermittlung ihr patentiertes Messschalensystem ein, führt aber auch digitale Vermessungen durch, bei denen der Fuß mit all seinen Eigenheiten gescannt wird. Auch Atlas bietet die Vermessung mit einem digitalen Fußscanner an und hat zudem eine Smartphone-App entwickelt, mit der jeder Interessent seine Füße selbst vermessen kann. Elten kombiniert das Scannen mit dem System Mifitto, das das Unternehmen in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (ISS) entwickelt hat. Der Scanner ermittelt die Volumina beider Füße, die Achsstellung der Unterschenkel, die Hauptbelastungspunkte und eventuelle Probleme mit dem zu starken Knicken des Fußes beim Laufen nach innen oder außen. Danach kann Mifitto nicht nur passende Schuhe aus dem Elton-Sortiment empfehlen, sondern beispielsweise auch Schuhwerk für die Freizeit, da Produktdaten weiterer Hersteller und Händler hinterlegt sind.
Steitz Secura geht noch einen Schritt weiter: Das Unternehmen nutzt den ersten medizinisch zugelassenen 3D‐Scanner des belgischen Herstellers RSscan sowie eine dynamische Fußvermessung. Die dabei rund um den Fuß generierten Daten können dann über eine digitale Plattform von HP in Produktionsdaten umgewandelt werden. So kann Steitz individuell für jeden einzelnen Träger den optimalen Schuh herstellen. Mit Hilfe eines sogenannten Self-Service-Kiosk können Beschäftigte inzwischen ihre Füße auch selbst vermessen – für die Auswertung der Ergebnisse empfiehlt Steitz das Gespräch mit dem Betriebsarzt.
Bei allen Unterschieden haben alle Lösungen eines gemeinsam: Durch sie ist die Suche nach dem passenden Rahmen für das Kunstwerk Fuß kein so großes Kunststück mehr.
Wann passt ein Schuh?
Dem deutschen Schuhinstitut zufolge ist die Länge des Fußes ein wichtiger Wert. Der passende Schuh sollte dann nicht nur dem Fuß in Ruhe Raum geben, sondern auch beim Abrollen, was etwa zehn Millimeter zusätzlichen Platz beansprucht. Am Ballen und an der Ferse muss der Schuh fest sitzen, darf aber dabei nicht drücken. Vor allem bei höheren Absätzen darf die Ferse nicht im Schuh rutschen oder wackeln, da sich sonst das Risiko des Umknickens erhöht. Auch die Uhrzeit spielt eine Rolle: Füße sind abends dicker als am Morgen. Schuhe, die den ganzen Tag über getragen werden, kauft man laut Schuhinstitut daher am besten nachmittags – denn kauft man sie morgens, können sie abends zu eng sein, kauft man sie abends, können sie morgens zu weit sein. Grundsätzlich sollte zudem ein zu enger Schuh mit einem weiter geschnittenen Modell ersetzt werden, nicht mit einer Nummer größer. Und bei einer zu großen Weite sollte niemals zu einer kürzeren Länge gegriffen werden.
Orthopädisches Schuhwerk
Trotz der Modell- und Passformvielfalt kommen nicht alle Menschen mit einem Schuhmodell von der Stange zurecht. Sie brauchen statt dessen speziell orthopädisch zugerichteten Fußschutz oder sogar Maßschuhe. Dafür ist die DGUV-Regel 112-191 maßgeblich. Sie besagt, dass bei jeder orthopädischen Anpassung von Sicherheitsschuhen geprüft werden muss, ob diese weiterhin den Anforderungen der Norm EN ISO 20345 gemäß Zertifikat entsprechen. Diese Prüfung muss durch ein offizielles Prüfinstitut durchgeführt werden, welches anschließend eine EG-Baumusterprüfbescheinigung ausstellt. Die Kosten für eine solche Prüfung sind erheblich, sodass es für Schuhhersteller oft wirtschaftlich nicht tragbar ist, diese individuell für jede angefragte orthopädische Änderung und jedes einzelne Paar Schuhe durchzuführen. Für die häufigsten orthopädischen Problemstellungen bieten sie jedoch in der Regel Sicherheitsschuhe an, die dafür im Vorfeld zertifiziert wurden. Wer damit nicht zurecht kommt, muss sich von seinem Orthopäden ein Attest ausstellen und die Umsetzung von autorisierten Fachkräften wie zum Beispiel Orthopädieschuhtechnikermeistern ausführen lassen – als Maßschuh oder als individuelle orthopädische Zurichtung eines industriell gefertigten Schuhs. Das Sachgebiet Fußschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) empfiehlt ein Vier‐Stufen‐Modell, mit dessen Hilfe Unternehmen betroffenen Beschäftigten baumustergeprüften orthopädischen Fußschutz zur Verfügung stellen können. www.dguv.de/fb-psa, Webcode d33147