Jedes Staubkorn zählt
In Reinräumen herrschen besondere Bedingungen für spezielle Prozesse und Produkte. Die dort arbeitenden Menschen sind der entscheidende Faktor für den Hygienestatus – und gleichzeitig die häufigste Ursache für Kontaminationen. Das macht das richtige Verhalten im und um den Reinraum besonders wichtig.
Ende September kam eine ganz besondere Fracht im NASA-Raumfahrtzentrum im texanischen Houston an: Gesteinsproben des Asteroiden Bennu, gesammelt von der Weltraumsonde Osiris-Rex. In speziellen Reinräumen wollen die Forschenden die Proben unter anderem auf Spuren außerirdischen Lebens untersuchen. Allerdings werden in diesen Raumfahrt-Reinräumen bei Abstrichproben von Fußböden und Tischen immer wieder Bakterien und Schimmelpilze entdeckt. Und schon vor einigen Jahren fanden die NASA-Forschenden heraus, dass vermeintlich außerirdische Aminosäuren im Mondgestein der Apollo-Missionen größtenteils irdischen Ursprungs sind.
Sterile Reinräume gelten bei Weltraummissionen als doppelt wichtig. Einerseits sollen sie verhindern, dass irdische Mikroben auf andere Himmelskörper gelangen. Andererseits sollen sie sicherstellen, dass Proben aus dem Weltraum unter sterilen Bedingungen gelagert und analysiert werden können. Aber auch jenseits der Luft- und Raumfahrttechnik ist für viele Branchen und Prozesse die Arbeit im Reinraum vorgeschrieben, da nur in einer solchen Umgebung die technischen und hygienischen Voraussetzungen für eine zuverlässige und sichere Produktion und Arbeit gegeben sind. Das gilt etwa für die Produktion und Verarbeitung von Lebensmittel, für die Fertigung von Halbleiter- und Computertechnologie, Optik und Lasertechnologie sowie pharmazeutischen Produkten, für medizinische, biologische und chemische Forschungsprojekte sowie für Laboruntersuchungen.
In den meisten Fällen müssen dabei nicht die Menschen vor einer gefährlichen Umgebung geschützt werden, sondern die Räume vor dem Schmutz der Menschen. Denn jede Person trägt eine Partikelwolke unter anderem aus winzigen Textilfasern, Hautschüppchen und Lungenaerosolen um sich herum, plus daran haftende Mikroorganismen. Je nach Bewegung emittiert der menschliche Körper zwischen 100.000 und zehn Millionen Partikel pro Minute – deutlich mehr als in den meisten Reinraumklassen erlaubt ist. Spezielle Arbeitskleidung und reinraumgeeignete Arbeitsmittel senken diese Zahlen, reichen jedoch nicht aus. „Schnell Overall und Handschuhe anziehen und einschleusen – das hört sich einfach an, ist es aber nicht“, so der Arbeitskleidungshersteller CWS, der auch Schulungen zum Verhalten in Reinräumen anbietet: „Es gilt, ein reinraumgerechtes Bewusstsein zu schaffen. Darauf aufbauend folgt das entsprechende Verhalten.“
Das richtige Verhalten fängt demnach schon bei der persönlichen Hygiene an. Vor der Reinraumarbeit müssen die Hände sorgfältig gereinigt werden. Außerdem sollen möglichst keine Körperpflegeprodukte oder Kosmetika aufgetragen werden, das betrifft auch Produkte wie Make-up, Nagellack oder künstliche Wimpern. Schmuck ist im Reinraum ebenfalls nicht erlaubt. Zum einen haften daran Partikel und Mikroorganismen. Zum anderen kann es durch Bewegung zu Material- und Hautabrieb kommen und Ringe können Handschuhe beschädigen. Persönliche Gegenstände sind nur gestattet, wenn sie im Reinraum wirklich gebraucht werden, beispielsweise Brillen oder Hörgeräte. Die letzte Zigarette vor dem Eintritt in die reinen Räume sollte je nach Reinheitsklasse mindestens 30 bis 60 Minuten her sein. Im Reinraum selbst ist natürlich weder Rauchen noch Essen und Trinken erlaubt.
Bei der Reinraumkleidung ist auf das richtige Anziehen zu achten. Dazu gehört auch die Reihenfolge: Wegen der besonderen Luftführung von oben nach unten müssen auch die Kleidungsstücke von oben nach unten angezogen werden, also beispielsweise erst die Vlieshaube, dann der Kittel – nicht wie im privaten Bereich, wo viele erst die Jacke anziehen und dann die Mütze. Shirts der Unterbekleidung müssen in den Hosenbund gesteckt, Handschuhe über das Armbündchen gezogen werden. Hilfreich können Fotos des korrekten Outfits sein, die in der Schleuse aufgehängt werden.
Fallen beim Umziehen Teile der Reinraumkleidung auf den Boden, können sie nicht mehr verwendet werden. Auch eine gute Passform ist wichtig, damit bei Bewegungen an den Bündchen oder am Halsausschnitt keine Partikel herausgepumpt werden. Die Bewegungen selbst sollten im Reinraum langsam und kontrolliert sein, um keine Kontaminationen aufzuwirbeln, die sich am Boden angesammelt haben.
Wegen der Luftführung von oben nach unten sollte sich auch nicht über den Arbeitsbereich beziehungsweise über gereinigte oder desinfizierte Flächen gebeugt werden – eventuelle Kontaminationen werden sonst von den Beschäftigten weg und genau dorthin geblasen, wo sie nicht hindürfen. Beim Verschränken der Arme, beim Anlehnen oder Abstützen droht ebenfalls Kontaminationstransfer. Außerdem ist es wichtig, die Abluftöffnungen nicht zu verstellen; für Rollwagen oder Mülleimer müssen andere Plätze gefunden werden.
Und was ist mit Husten oder Niesen? Wenn es sich nicht unterdrücken lässt, empfiehlt CWS, Reinraumtücher vor Mund und Nase zu halten und diese erst in der Personalschleuse vom Gesicht zu nehmen und zu entsorgen. Allerdings müsse nach dieser Aktion die komplette Reinraumkleidung getauscht werden. Ohnehin: Wer sich krank fühlt, sollte auf keinen Fall einen Reinraum betreten. Denn im ungünstigsten Fall können Menschen nicht nur Partikel in Reinräume einbringen, sondern auch noch Bakterien und Viren.
Auf einen Blick
Das auf Reinräume spezialisierte Unternehmen Dynovo hat die zentralen Verhaltensregeln in Form eines Posters aufbereitet.
https://dynovo.ch/out/pictures/ddmedia/Reinraum_Poster_DE.pdf?__hstc=205882892.e218efd0d7f87979f447b94c20b99471.1698505363836.1698505363836.1698505363836.1&__hssc=205882892.2.1698574593464&__hsfp=2849603510
Vorgaben und Normen
DIN EN ISO 14644: Die „Norm für Reinräume und zugehörige Reinraumbereiche“ regelt sämtliche Aspekte der Konstruktion, Einrichtung und des Betriebs von Reinräumen und legt zudem die Reinraumklassen fest.
DIN ISO 14159: Die Vorgabe regelt die Hygieneanforderungen an die Gestaltung von Maschinen und Transportgeräten
VDI-Richtlinie 2083: Diese Richtlinienreihe formuliert Empfehlungen und Entscheidungshilfen zur praktischen Umsetzung der DIN EN ISO 14644 im Arbeitsbetrieb.
GMP-Leitfaden: Im Leitfaden zur Good Manufacturing Practice (GMP) der EU finden sich im Anhang 1 die Regelungen zur „Herstellung steriler Arzneiprodukte“, die sich explizit auf die Produktionsbedingungen im Reinraum bezieht. Hier wird auch eine Klassifizierung in vier Reinraumklassen (A bis D) vorgenommen.
Zudem greifen für das Hygienemanagement je nach Anwendungsbereich neben dem Arbeitsschutzgesetz weitere Richtlinien und Verordnungen. Dazu gehören das Infektionsschutzgesetz (IfSG), die Biostoffverordnung (BioStoffV) und die Technische Regel für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA 250), außerdem europäische Vorgaben zur Lebensmittelhygiene und Richtlinen des Robert Koch Instituts.
Das Reinraum-Portal hat eine Übersicht über die relevanten Normen und Richtlinien zusammengestellt: https://www.reinraum.de/normen.html