Laden beim Laden

Der Staat setzt auf den Einzelhandel, um die Elektromobilität voranzutreiben. Doch damit Bau und Betrieb von Ladestationen für die Unternehmen zu einem funktionierenden Geschäftsmodell werden können, muss die Politik bei ihren Vorgaben auch die Interessen des Handels berücksichtigen...

Neue Mobilitätsformen sind für Einzelhändler kein Teil ihres eigentlichen Kerngeschäfts. Trotzdem beschäftigen sich viele Unternehmen bereits seit Jahren mit dem Thema Elektromobilität, beispielsweise indem sie E-Fahrzeuge in ihrem Fuhrpark nutzen. Zudem zeigen aktuelle EHI-Zahlen, dass mehr als die Hälfte der Handelsunternehmen bereits mindestens eine Ladestation im Einsatz hat. Im Zuge der Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) in deutsches Recht ist zu erwarten, dass dieser Anteil deutlich steigen wird. Denn den Gesetzesplänen der Bundesregierung zufolge, die sich zurzeit in der Ressortabstimmung befinden, soll der Handel zum Bau von Lademöglichkeiten verpflichtet werden – ab Inkrafttreten bei Neubauten und ab 2025 auch im Bestand.

„Die nationale Umsetzung der EPBD hat spürbare Auswirkungen auf den Handel“, sagt Lars Reimann. Der Abteilungsleiter Energie- und Umweltpolitik des Handelsverbands Deutschland (HDE) beschäftigt sich intensiv mit den Inhalten der geplanten Gesetzgebung. Immerhin zeichnet sich ab, dass bei Neubauten mit mehr als zehn Stellplätzen ab März 2020 ein Ladepunkt errichtet und jeder fünfte Stellplatz mit Leerrohren ausgestattet werden muss – das gleiche gilt bei großen Renovierungen. Bei Bestandsgebäuden ist geplant, dass bei mehr als 20 Stellplätzen ab 2025 ein Ladepunkt gebaut werde muss. „Vor diesem Hintergrund sollte der Handel an der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität teilnehmen dürfen“, so Reimann. „Bislang ist das leider nicht der Fall.“

Zudem sei es wichtig, betont Reimann, für die neuen Pflichten eine schlanke, kostengünstige Lösung zu finden. Anders ist aus seiner Sicht auch das Tempo nicht machbar, das die Bundesregierung anstrebt – Ziel sind demnach mindestens 15.000 Ladestationen bis 2020 und eine Million Ladepunkte bis 2030. Das bedeute, dass in den kommenden zehn Jahren etwa 8.200 Ladepunkte pro Monat in Betrieb genommen werden müssten. Das wäre pro Monat das eineinhalbfache des gesamten Zubaus der vergangenen drei Jahre. Dem steht laut Reimann die Komplexität der Thematik entgegen, die viele Bereiche berührt, beispielsweise Mess- und Eichrechtskonformität, diverse Bauverordnungen, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Stromsteuergesetz, das Umsatzsteuergesetz, die Preisangabenverordnung, die Datenschutz-Grundverordnung, die Mitwirkung von Verteilnetzbetreibern und nicht zuletzt vertragliche Themen und diverse Meldepflichten.

Orientierung soll der Leitfaden für den Aufbau von Ladeinfrastruktur auf den Parkflächen von Handelsimmobilien bieten, den die Initiative E-Mobilität des EHI gerade erarbeitet und der zur Euroshop 2020 erscheint. Eine EHI-Studie hat ergeben, dass zurzeit 54 Prozent der befragten Händler mindestens eine Ladestation innerhalb ihres Filialnetzes anbieten und weitere 19 Prozent gegenwärtig E-Tankstellen planen. Verkauft wird der Strom jedoch nur von 21 Prozent der befragten Händler. „Es ist wichtig, dass Handelsunternehmen sich darüber austauschen, wie sich die Vorgaben effizient umsetzen lassen und welche Geschäftsmodelle möglich sind“, sagt EHI-Projektmanagerin Laura Fleischhauer. 67 Prozent der Händler biete den Strom am Parkplatz zurzeit zwar noch als kostenlose Dienstleistung für ihre Kunden an. Möglich seien aber beispielsweise auch Kooperationen mit Energieversorgern, die auf der Parkplatzfläche die Ladesäulen betreiben. „Aktuell ist es für die Händler aufgrund der aufwändigen Abrechnung das Einfachste, den Strom zu verschenken“, so Fleischhauer. „Wir gehen jedoch davon aus, dass mittelfristig immer weniger Händler den Strom kostenfrei abgeben werden.“

„Es muss sich ein Markt entwickeln“, sagt auch Dominique Sevin von der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW GmbH). Die Bundestochter koordiniert und steuert seit 2008 die Umsetzung von Programmen der Regierung zu neuer Mobilität. Sevin sieht in der Ladeinfrastruktur die Schlüsselrolle für die Elektromobilität, ein klassischer Enabler, der rechtzeitig in der Fläche und dem Bedarf entsprechend öffentlich und privat aufgebaut werden müsse. Natürlich müsse dafür auch die Automobilindustrie in die Pflicht genommen werden. Aber der Einzelhandel werde eine strategische Rolle spielen, gerade in Städten. Dafür stellt Sevin weitere Förderaufrufe der Bundesregierung in Aussicht.

„Die Förderung ist ein schwieriges Gebiet, aber alle anderen Rahmenbedingungen und Meldepflichten sind noch komplexer“, sagt Frank Stocker. Der Leiter der Edeka-Versorgungsgesellschaft appelliert an die Politik, auch die Interessen des Handels zu berücksichtigen, um das Thema Ladeinfrastuktur ans Laufen zu bekommen. Verschlankung und Entbürokratisierung seien dabei wichtige Themen, zudem Hürden wie die Spreizung der Netzentgelte. „Vor diesem Hintergrund kann ich heute keinen Business Case erkennen“, so Stocker. „Aber langfristig kann man kein geldwertes Gut verschenken.“

Dass es anderswo häufig unbürokratischer zugeht als in Deutschland, beobachtet auch Thomas Tappertzhofen von Green Cycle, der Nachhaltigkeitstochter der Schwarz-Gruppe. Kaufland und Lidl betreiben aktuell 800 Ladesäulen in 23 Ländern, davon 200 in Deutschland. Auch bei den Discountern laden die Kunden während der Filialöffnungszeiten kostenlos. Da sich das Mobilitätsverhalten jedoch rapide ändert und eine steigende Nutzung der Ladepunkte absehbar ist, denkt die Schwarz-Gruppe über andere Modelle nach. In Berlin läuft beispielsweise seit Mitte 2019 eine Kooperation im Rahmen des E-Carsharing-Programms WeShare von Volkswagen. Dafür bauen Lidl und Kaufland ihre Ladeinfrastruktur aus, die dann während der Öffnungszeiten den Filialkunden zur Verfügung steht und zu den anderen Zeiten für das Aufladen der WeShare-Flotte genutzt wird. Weitere Städte werden zurzeit auf die Eignung für dieses Modell geprüft, ebenso alternative Kooperationsformen. Insgesamt sieht Tappertzhofen den Ausbau der Ladeinfrastruktur als eine Gemeinschaftsaufgabe, die nicht komplett abgewälzt werden dürfe.

„Der Handel wird ein bisschen missbraucht für den Aufbau einer Infrastruktur, die eigentlich andere vorantreiben müssten“, findet auch Hans-Martin Obermann. Dem Projektleiter Immobilienmanagement und Energie-Klima-Umwelt der Rewe Group zufolge sind Ladestationen für den Handel zurzeit kein Kundenbindungselement, auch gebe es noch kein Geschäftsmodell. Trotzdem seien sie angesichts der angestrebten Verkehrswende und dem politisch gewollten Umstieg auf die Elektromobilität eine Investition in die Zukunft. Einen Aspekt hält Obermann jedoch für zentral: „Die Komplexität des Thema Ladeinfrastruktur muss aus dem Marktgeschehen rausgehalten werden.“ Schließlich liegt das Kerngeschäft des Handels anderswo.

EHI-Leitfaden: Elektromobilität im Handel

Mit der Initiative E-Mobilität im Handel greift das EHI Retail Institute gemeinsam mit seinen Partnern das Thema Elektromobilität und Ladesäulen am Point of Sale auf. Ziel der Initiative ist es, den Handel über bereits existierende Konzepte und Lösungen zu informieren, diese weiterzuentwickeln sowie die Stärken und Schwächen der jeweiligen Systeme zu identifizieren. Zur EuroShop 2020 wird die Initiative E-Mobilität einen Leitfaden veröffentlichen, der Orientierungshilfe für den Aufbau von Ladeinfrastruktur geben, eine erste Entscheidungsgrundlage mit möglichen Strategieansätzen liefern und Chancen beim Aufbau der Ladepunkte aufzeigen soll. Zu den Inhalten gehören neben einem Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten ein Soll-Prozess für den Aufbau von Ladeinfrastruktur sowie unterschiedliche Praxisbeispiele aus dem Handel. https://www.ehi-elektromobilitaet.de/