Nicht wegschauen!
Verschiedene Kampagnen und Initiativen fordern mehr Schutz vor Gewalt für Polizeikräfte, Feuerwehrleute und Krankenhauspersonal. Der Gesetzgeber hat jetzt mit einer Verschärfung des Strafgesetzbuchs reagiert. Damit das Thema im Unternehmen die nötige Aufmerksamkeit bekommt, können Sicherheitsbeauftragte darauf achten, dass Vorfälle dokumentiert und gemeldet werden.
Gewalt gegen Einsatz- und Rettungskräfte oder Beschäftigte in Krankenhäusern ist seit Jahren ein Problem. Der aktuellen Kriminalstatistik zufolge wurden 2023 rund 106.000 Polizeivollzugsbeamte und mehr als 4.000 Beschäftigte von Feuerwehr und Rettungsdiensten Opfer von Gewalt – das sind in beiden Gruppen etwa 10 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Auch in drei Vierteln der deutschen Krankenhäuser haben körperliche und verbale Übergriffe gegen ihre Beschäftigten in den letzten fünf Jahren zugenommen, zeigt eine Blitzumfrage des Deutschen Krankenhausinstituts. Aber da nur ein Teil der Häuser standardmäßig verbale und körperliche Übergriffe erfassen, sei von einer erheblichen Dunkelziffer auszugehen.
Vielfältige Auslöser
Die Gründe für körperliche und verbale Übergriffe sind vielfältig. Sie können beispielsweise von Menschen ausgehen, die wegen Drogen oder Alkohol, Schmerzen oder Angst in einer Ausnahmesituation sind, die aus Ungeduld oder Unverständnis Grenzen überschreiten oder die Einsatz- und Rettungskräfte sowie medizinisches Personal als Vertreter eines Staates wahrnehmen, den sie ablehnen. Unabhängig von den Gründen beeinträchtigt jeder Übergriff die Sicherheit und Gesundheit der Betroffenen. Körperliche Verletzungen wie Prellungen, Kratz- oder Bisswunden können die Folge sein, Sachschäden wie zerstörte Brillen oder Kleidung, außerdem merkliche psychische Belastungen wie Depressivität und Angstgefühle, psychosomatischen Beschwerden und emotionale Erschöpfung.
Welche Schutzmaßnahmen gegen Gewalt möglich sind, hängt vom konkreten Arbeitsplatz ab (siehe Kasten „Mögliche Maßnahmen“). Krankenhäuser beispielsweise setzen insbesondere auf Deeskalationstrainings für ihre Beschäftigten, auf bauliche und technische Maßnahmen wie Zutrittskontrollen oder Videoüberwachung, auf klinikinterne Leitlinien zum Umgang mit aggressiven Patienten oder bei Übergriffen sowie auf die psychologische Unterstützung von Betroffenen. Etwa jedes vierte Krankenhaus beschäftigt Sicherheitspersonal, um Mitarbeiter aber auch Patienten zu schützen.
Melden und dokumentieren
Sicherheitsbeauftragte können vor allem wegen ihrer Nähe zur Belegschaft dafür sorgen, dass das Thema in Unternehmen ernst genommen und nicht bagatellisiert wird. „Sie sind nicht dafür verantwortlich, dass Gewaltübergriffe verhindert und Opfer versorgt werden. Das liegt in der Verantwortung der Führungskräfte, die ihrer Fürsorgepflicht nachkommen müssen“, sagt Arbeitspsychologe Just Mields von der BG ETEM. Aber Sicherheitsbeauftragte könnten darauf achten, dass Vorfälle gemeldet und dokumentiert werden, etwa durch einen Eintrag in das Verbandbuch. Außerdem könnten sie Vorfälle beispielsweise an den Arbeitsschutzausschuss herantragen, in dem Arbeitsgeber, Betriebsrat und Fachkräfte für Arbeitssicherheit sitzen. Auch Jasmine Kix vom DGUV-Sachgebiet Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt rät Sicherheitsbeauftragten vor allem, das Gespräch mit der Belegschaft zu suchen. Denn: „Selbst wenn sie nur von einem Fall mitbekommen, ist es durchaus möglich, dass die Zahl höher ist.“
Initiativen für mehr Aufmerksamkeit
Um das Problem stärker ins Blickfeld zu rücken, sind auch Gewerkschaften und Arbeitsschutzorganisationen aktiv geworden. Der DGB und seine acht Mitgliedsgewerkschaften beispielsweise starteten im Februar 2020 die Initiative „Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch“. Und die Mitgliederversammlung der DGUV veröffentlichte Ende 2023 die Resolution „Null Toleranz bei Gewalt gegen Einsatzkräfte“. „Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen, Nötigungen oder tätliche Angriffe auf Beschäftigte und ehrenamtlich engagierte Menschen sind inakzeptabel“, heißt es darin. Seitdem läuft auch die vom Bundesarbeitsministerium unterstützte Kampagne #GewaltAngehen.
Anfang September dieses Jahres reagierte die Bundesregierung und brachte unter dem Titel „Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie sonstigen dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten“ eine Änderung des Strafgesetzbuchs auf den Weg. Sie soll gezielt den Schutz derer verbessern, die bei Ausübung ihrer Tätigkeit etwa als Repräsentanten der staatlichen Gewalt angegriffen werden. „Für Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes, eines Rettungsdienstes, eines ärztlichen Notdienstes oder einer Notaufnahme, die in Notfällen oftmals in ungeschützter Einsatzumgebung tätig werden müssen, besteht die Gefahr, dass sie diese Tätigkeiten aus Angst nicht mehr leisten wollen. Daher bedarf es eines klaren rechtspolitischen Signals, das die besondere Verwerflichkeit dieser Taten noch deutlicher als bisher herausstellt“, heißt es in der Begründung.
Schärfere Strafen
Deutlich nachgeschärft wurde bei den Höhen der möglichen Strafen, aber auch an den Straftatbeständen. Beispielsweise soll der strafbare Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte auch auf Beschäftigte bei Polizei, Feuerwehr und Katastrophenschutz sowie Rettungsdiensten und ärztlichen Notdiensten ausgeweitet werden.
Die DGUV begrüßte den Vorstoß nachdrücklich. „Wer andere angreift, muss wissen, dass er zur Rechenschaft gezogen wird. Dieses deutliche Signal brauchen wir als Warnung an potenzielle Täter, aber auch als Zeichen der Solidarität gegenüber denen, die sich für unser aller Sicherheit und Gesundheit einsetzen“, sagt ihr Chef Stefan Hussy. „Jeder Mensch hat das Recht darauf, seiner Arbeit – auch ehrenamtlicher Arbeit – nachzugehen, ohne dabei bedroht oder angegriffen zu werden. Das gilt insbesondere für jene, die sich für andere Menschen einsetzen. Wer sie angreift, greift den Zusammenhalt unserer Gesellschaft an.“ Mindestens ebenso wichtig wie Strafen sei aber auch eine konsequente Verfolgung entsprechender Taten.
#GewaltAngehen in allen Branchen
Übrigens: Bei den meldepflichtigen gewaltbedingten Unfällen bei der Arbeit oder bei ehrenamtlicher Tätigkeit sind nach Zahlen der DGUV zum Unfallgeschehen Beschäftigte aus allen Branchen betroffen. Sukzessive wird sich die Kampagne #GewaltAngehen daher auch anderen Bereichen der Arbeitswelt zuwenden, in denen Gewalt ein Thema ist.
Praxistipps für die Notaufnahme
Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) hat den Forschungsbericht „Prävention von Aggressionen und Gewalt gegenüber Beschäftigten in der Notaufnahme“ veröffentlicht. Die Broschüre stellt Strategien und Handlungshilfen für die Umsetzung von Maßnahmen zur Prävention von Gewalt in der Notaufnahme bereit.
Mögliche Maßnahmen
Das Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG) nennt Beispiele, wie Beschäftigte in Betrieben unterschiedlicher Branchen besser gegen Übergriffe geschützt werden können. Wie immer gilt das TOP-Prinzip.
Beispiele für Maßnahmen auf der technischen Ebene:
• Alarmsysteme
• Fluchtmöglichkeiten und Rückzugsräume
• gute Beleuchtung
• Trennung von Personal und Kundschaft durch Sicherheitsglasscheiben
• Vermeidung gefährlicher Gegenstände
• Einsatz von Personen-Notsignal-Geräten bei gefährlichen Alleinarbeitsplätzen
Beispiele für Maßnahmen auf Ebene der Organisation:
• Erfassung, Dokumentation und Analyse der Gewaltvorfälle
• Notfallplan aufstellen
• Rettungs- und Meldekette sowie klare Verhaltensstandards festlegen und darin unterweisen
• Alleinarbeit vermeiden
• Deeskalationspausen ermöglichen
• Verhaltensstandards für die Kundschaft oder externe Personen festlegen (Hausordnung)
• Vollzug des Hausrechtes organisieren, zum Beispiel durch einen Sicherheitsdienstleister oder geschulte Mitarbeitende
• psychologische Erstbetreuerinnen und -betreuer bestimmen, ausbilden und regelmäßig fortbilden lassen
Beispiele für Maßnahmen auf der persönlichen Ebene:
• Beschäftigte qualifizieren, zum Beispiel zu Kommunikationsfähigkeit, Deeskalationstechniken, Wahrnehmungsschulung
• auf funktionelle Arbeitskleidung achten
• keine verletzungsträchtigen, großen Schmuckstücke tragen
• regelmäßige Teamsitzungen abhalten, um Erfahrungen auszutauschen, sich abzusprechen und Gefahrenbewusstsein zu entwickeln
• regelmäßige Unterweisungen zum Verhalten bei Gewaltvorfällen