Quarantäne für Allergene
Beruflich bedingte Allergien gehören in Deutschland zu den am häufigsten gemeldeten Berufskrankheiten. Den Betroffenen droht nicht selten der Jobverlust. Die Sattlerei Bielkine in Hannover jedoch zeigt eine Alternative auf...
Die Aufarbeitung alter Autos ist Thomas Trautmanns Leidenschaft. Für den Sattlergesellen ist daher sein Job bei Bielkine in Hannover sein absoluter Traumberuf. Denn die Fahrzeugsattlerei ist auf die Restaurierung klassischer Oldtimer spezialisiert, vom Verdeck über die Türverkleidungen bis hin zu den Polstern. Der Traum drohte jedoch zum Albtraum zu werden, als Trautmann mehr und mehr mit Unwohlsein und gesundheitlichen Schwierigkeiten bei der Arbeit zu kämpfen hatte: gerötete und tränende Augen, Atemnot bis hin zu dem Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und zu ersticken, dazu starke Kopfschmerzen. „Latexallergie“, lautete die ernüchternde Diagnose der Ärzte.
Im Innenbereich von Autos ist Latex in etlichen Werkstoffen enthalten, beispielsweise in Polstern und Klebern. Bei der Verarbeitung von Latexprodukten verteilen sich dann die Partikel in der ganzen Halle – ein Problem für Trautmann, der bereits bei Hautkontakt und kleinen Mengen Latex in der Luft mit allergischen Symptomen reagiert. Die mögliche Konsequenz – nämlich seinen geliebten Beruf nicht mehr ausüben zu können und umschulen zu müssen – beschreibt der Sattlergeselle mit einem Wort: „Ein Schock.“ Trautmanns Glück war, dass sein Chef Boris Bielkine den erfahrenen Sattler auf keinen Fall verlieren wollte. Gemeinsam mit den Beschäftigten diskutierte und analysierte er daher für sein Unternehmen verschiedene Möglichkeiten. Am Ende dieses Prozesses stand eine Lösung, für die Bielkine und seine Mitarbeiter den Vision-Zero-Förderpreis in der Kategorie Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) erhielten.
Kern der Idee ist die Verarbeitung von Latexprodukten in einem separaten Raum. Dafür wurde ein verschiebbarer Vorhang aus Planenmaterial installiert, mit dessen Hilfe sich ein Teil der Halle praktisch luftdicht vom übrigen Bereich abteilen lässt. Darin entstehende Stäube mit Latexpartikeln werden sofort abgesaugt und können sich daher nicht mehr in der Halle verteilen. Parallel zu dieser Maßnahme werden bei Bielkine nun alle Latex enthaltenden Produkte und Werkstoffe während der Lagerung hermetisch eingepackt. Zudem konnte ein Teil der problematischen Materialien mit latexfreien Alternativen ersetzt werden. Und Thomas Trautmann kann sich jetzt in der Halle wieder ohne Beschwerden frei bewegen und fast alle früheren Tätigkeiten ausführen.
Auch wenn es in Deutschland nicht mehr viele Sattlereien gibt: Trautmanns Allergieproblem ist kein Einzelfall. Beruflich bedingte Allergien treten in der Arbeitswelt in vielen Bereichen auf. Sie gehören schon seit Jahren zu den am häufigsten gemeldeten Berufskrankheiten und können die Haut ebenso wie die Atemwege betreffen. „Weit über 250 Arbeitsstoffe gelten mittlerweile als potenzielle Auslöser einer Typ-1- beziehungsweise einer Sofort-Allergie“, sagt Prof. Dr. Monika Raulf. Zudem würden viele Menschen unabhängig vom Beruf auf Allergene wie Pollen oder Milben reagieren, was nicht nur ihre Lebensqualität einschränke, sondern auch ihre Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz. Die Leiterin des Kompetenz-Zentrums Allergologie/Immunologie des Instituts für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV (IPA) in Bochum ist überzeugt, dass das Thema Allergie in der Zukunft eine noch größere Rolle einnehmen wird: „Unter den 14- bis 17-Jährigen weisen bereits 40 Prozent eine allergische Sensibilisierung auf.“
Aus Sicht des Arbeitsschutzes sollte daher generell versucht werden, den Kontakt mit potenziellen Allergenen zu vermeiden. Das betrifft den Bereich der Prävention ebenso wie den Umgang mit an Allergien erkrankten Beschäftigten, wie auch das erfolgreiche Beispiel der Sattlerei Bielkine zeigt. Schließlich gilt das Meiden eines allergieauslösenden Stoffes als die effektivste Methode, um die Symptome einer Allergie zu bekämpfen, da der Körper so keinen Kontakt mehr zu den von ihm als gefährlich eingestuften Substanzen hat. Die Berufsgenossenschaften sowie die Arbeitsmedizin empfehlen dafür ein Vorgehen nach dem STOP-Prinzip.
• Substitute: Es wird versucht, das allergieauslösende Material durch einen ungefährlichen Ersatzstoff zu ersetzen. • Technische Maßnahmen: Ist das nicht möglich, sucht man nach geeigneten technischen Maßnahmen wie beispielsweise Schutzverpackungen oder Absaugvorrichtungen für den gefährlichen Stoff. • Organisatorische Maßnahmen: Im dritten Schritt versucht man, den Kontakt mit dem Allergen durch organisatorische Maßnahmen zu verhindern oder zumindest zu minimieren, beispielsweise durch geänderte Arbeitsabläufe. • Persönliche Schutzausrüstung: Die vierte Komponente ist falls möglich die persönliche Schutzausrüstung. Dazu gehören je nach Arbeitsplatz Handschuhe, Schutzkleidung, Schutzbrille und Atemschutz.
Aus Sicht der BG RCI ist das Modell von Bielkine übrigens nicht nur ein gelungenes Beispiel für das STOP-Prinzip, sondern auch für Inklusion statt Exklusion – denn nicht der Erkrankte wird isoliert, sondern das Material. Und Thomas Trautmann sowie sein Chef Boris Bielkine sind froh, eine gute betriebliche Lösung für den leidenschaftlichen Sattler und das Unternehmen gefunden zu haben.
Informationsdienst Allergie
Das Helmholtz-Zentrum München baut zurzeit mit Unterstützung des Bundesministeriums für Gesundheit im Rahmen eines Forschungsvorhabens einen Allergieinformationsdienst als Angebot für Betroffene, Angehörige sowie die interessierte Öffentlichkeit auf. Ein Schwerpunkt liegt auf der Vorbeugung von und Schutz vor Allergien am Arbeitsplatz. Neben der Beschreibung von Krankheitsbildern bietet das Portal viele Informationen rund um Präventionsmöglichkeiten, den Umgang mit Allergieauslösern und -erkrankten sowie rechtliche Aspekte. https://www.allergieinformationsdienst.de/vorbeugung-und-schutz/arbeitsplatz.html
Außerdem stellt das Portal einen Überblick über besonders allergiegefährdete Berufe zur Verfügung. Passend zu den jeweiligen Berufen werden dabei die häufigsten relevanten Produkte und die darin enthaltenen Allergene aufgeführt. https://www.allergieinformationsdienst.de/fileadmin/ALLERGIEINFO/Grafiken/2Tab_Berufe.pdf