Tageslicht I: Mehr Licht!
Natürliches Licht wirkt auf drei Ebenen: visuell für gutes Sehen, biologisch für die Steuerung verschiedener Körperfunktionen und emotional für eine bessere Stimmung. Daher schreibt der Gesetzgeber für Arbeitsstätten Tageslicht und eine Sichtverbindung nach außen vor. Wie sich das praktisch umsetzen lässt, zeigt die DGUV in einer aktuellen Information.
Der Mensch gilt als Augentier. Mehr als 80 Prozent aller Informationen nehmen wir über die Augen auf, sie sind unser wichtigstes Sinnesorgan. Das für das Sehen notwendige Licht beeinflusst den Menschen jedoch über den Sehvorgang hinaus. „Licht ist der stärkste Impulsgeber, der uns taktet, stärker als Faktoren wie Ernährung oder Sport“, erklärt Thomas Kantermann. Der Chronobiologe lehrt Gesundheitspsychologie an der FOM-Hochschule und leitet am Institut für Arbeit & Personal die Forschungsgruppe „Chronobiologie und Arbeitsgestaltung“. Seit mehr als 100 Jahren befasst sich laut Kantermann die Wissenschaft mit dem sogenannten circadianen Rhythmus des Menschen. „Zu dieser inneren Uhr haben wir inzwischen eine solide Datenbasis. Demnach ist das Licht für den Menschen ein wesentlicher Zeitgeber – für den Schlaf-Wach-Rhythmus, aber beispielsweise auch für die Verdauung, die Produktion verschiedener Hormone und die Körpertemperatur.“
Licht ist aber nicht gleich Licht. Das volle Lichtspektrum etwa findet sich nur im Tageslicht wieder, und selbst ein bedeckter Wintertag bietet immer noch besseres Licht als eine helle Bürobeleuchtung. Natürliches Tageslicht hebt außerdem nicht nur die Stimmung und hilft dem Körper bei der Bildung von Vitamin D, es ist auch besser für die Augen und die Produktivität. Etlichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zufolge sind Beschäftigte durch das Erleben der Veränderungen des natürlichen Lichts im Tagesverlauf in der Regel gesünder, aktiver und konzentrierter. Licht hat immer visuelle und nichtvisuelle Wirkungen, und das an jedem Arbeitsplatz. Das macht Licht so bedeutsam für Sicherheit und Gesundheit. Der Gesetzgeber hat daher 2016 festgelegt, dass Arbeitsräume sowie Unterkünfte, Pausen- und Bereitschaftsräume möglichst ausreichend Tageslicht erhalten und eine Sichtverbindung nach außen haben müssen.
Was aber bedeutet ausreichend Tageslicht? Die für die Beleuchtung relevante Technische Regel ASR A3.4 nennt dafür zwei Anforderungen, von denen mindestens eine erfüllt werden muss: den Tageslichtquotienten sowie das Verhältnis der lichtdurchlässigen Flächen eines Raumes zu dessen Grundfläche. Für den Tageslichtquotienten wird die Beleuchtungsstärke am Arbeitsplatz durch die Beleuchtungsstärke im unverbauten Freien bei vollständig diffus bedecktem Himmel dividiert und mit 100 multipliziert; je größer das Ergebnis ist, desto mehr Tageslicht ist am Arbeitsplatz vorhanden. Bei Fenstern muss der Wert gemäß ASR A3.4 mindestens zwei Prozent betragen, bei Dachoberlichtern mindestens vier Prozent. Das Verhältnis der lichtdurchlässigen Flächen zur Raumgrundgröße muss dem Regelwerk zufolge mindestens 1:10 sein – ein 20 Quadratmeter großer Raum muss also über mindestens 2 Quadratmeter Fensterflächen verfügen und eine 15.000 Quadratmeter große Produktionshalle über mindestens 1.500 Quadratmeter lichtdurchlässige Flächen.
Gewerbe- und Industriedächer haben jedoch oft nur auf den ersten Blick mehr als genug Platz für Lichtbänder oder Lichtkuppeln. „Eine gute Tageslichtnutzung kollidiert auf dem Dach mit etlichen weiteren Vorgaben“, sagt Matthias Strutz vom Bereich Elektro-Energieversorgung Planung bei Volkswagen, der an der neuen DGUV-I 215-211 mitgearbeitet hat. Schornsteine, Rauch- und Wärmeabzugsanlagen sowie andere Gebäudetechnik belegen häufig große Bereiche, hinzu kommen ökologische und energetische Auflagen wie etwa die Anlage von Gründächern oder die Installation von Photovoltaik-Anlagen. „Auch im Inneren der Hallen kann aus baulichen Gründen die Nutzung von Tageslicht über Dachfenster schwierig sein, etwa wenn eine zweite Ebene eingezogen ist.“ Auf der unteren Ebene sind laut Strutz dann nur hochwertige Arbeitsplatzleuchten mit guter Entblendung möglich, sowohl an Büro- als auch an Industriearbeitsplätzen, weiterhin Leuchten mit biodynamischem Licht. Solche Leuchten mit Human Centric Light (HCL) sind bisher aber nur in kleinen Projekten oder zu Testzwecken im Einsatz. „Für die dort arbeitenden Menschen sind daher neben Fenstern vor allem gute Pausenregelungen wichtig – der Außenbereich muss großzügig und attraktiv gestaltet werden und zum Tageslichttanken einladen.“
Wie gut die Versorgung mit Tageslicht in Gebäudeinneren tatsächlich ist, spiegeln die von der ASR A3.4 vorgegebenen Werte nur bedingt wider, da sie sehr unterschiedliche Lichtsituationen im Raum abbilden. Darauf weist die DGUV Information explizit hin. Beispielsweise wird demnach in einem Raum, der sehr tief ist und nur auf einer Seite Fenster hat, trotz ausreichend großer Fensterflächen der Tageslichtquotient nur in Fensternähe erreicht. Für tiefer im Raum liegende Arbeitsplätze müssten die Fenster bis zur Decke reichen oder noch besser auf beiden Raumseiten sein. Und für eine Optimierung von Tageslichteinfall und Tageslichtnutzung werden Ansatzpunkte jenseits der baulichen Gegebenheiten noch wichtiger.
Über die reine Tageslichtnutzung hinaus geht auch die Bedeutung der ebenfalls vorgeschriebenen Sichtverbindung nach außen. Diese visuelle Verbindung soll verhindern, dass sich Beschäftigte am Arbeitsplatz eingesperrt oder abgekapselt fühlen, weil sie Eindrücke von der Umgebung, Wetter und Jahreszeiten sowie dem sich verändernden Tageslicht ermöglicht. Außerdem kann der Blick in die Ferne die Augen entlasten. Erfüllt wird die Anforderung einer Sichtverbindung nach außen entweder durch einen direkten Sichtkontakt oder auch mittelbar, also durch einen anderen Raum hindurch oder durch eine Sichtverbindung in einen großräumigen Innenbereich, in den Tageslicht fällt.
Mehr Tageslicht wirkt sich übrigens nicht nur positiv auf Gesundheit, Wohlbefinden und Produktivität der Beschäftigten aus, sondern bringt auch wirtschaftliche Vorteile mit sich. Je mehr Tageslicht genutzt wird, umso mehr kann auf Kunstlicht verzichtet werden – und umso stärker sinkt der Energiebedarf.
Die überarbeitete DGUV Information 215-211 „Tageslicht am Arbeitsplatz und Sichtverbindung nach außen“ (https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/799) gibt Hinweise und Tipps, wie die rechtlichen Anforderungen umgesetzt werden können.