Unterschätztes Risiko

Die Installation einer Photovoltaikanlage ist nicht ungefährlich, denn Solarteure arbeiten oft in großer Höhe und auf unsicherem Untergrund. Das ist ein weitaus größeres Problem als der Umgang mit Elektrizität...

Es war kurz vor der Mittagspause, als das Dach der Scheune unter den Solarteuren nachgab. Ein dramatischer Moment, auch wenn der Bericht der Polizei im nordrhein-westfälischen Hamm über die Geschehnisse am 13. April 2010 eher nüchtern ausfällt. „Nach bisherigen Erkenntnissen montierten drei Männer auf dem Dach eines Gehöftes eine Voltaikanlage. Bei den Arbeiten brachen zwei Männer gleichzeitig in das Dach ein und stürzten sechs Meter in die Tiefe. Ein 27-Jähriger wurde mit einem Rettungshubschrauber und ein 39-Jähriger mit einem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht. Die dritte Person wurde nicht verletzt und konnte das Dach über eine Leiter verlassen. Das Staatliche Amt für Arbeitsschutz wurde über den Unfall informiert und angefordert.“

Solche Unfälle kommen zurzeit häufiger vor, heißt es bei der Bezirksregierung Arnsberg, wo das Amt für Arbeitsschutz angesiedelt ist. „Diese Fallkonstellation ist nicht einzigartig“, sagt ihr Sprecher Christoph Söbbeler. „Da das Geschäft mit Solaranlagen boomt, ist auch ein Anstieg der Unfälle bei deren Montage durch Stürze von Dächern zu beobachten.“

Und das nicht nur in Nordrhein-Westfalen, wie Polizeimeldungen der letzten Wochen zeigen. Am 26. April brach eine 38-Jährige bei letzten Arbeiten an einer Solaranlage auf dem Dach eines Kuhstalls durch eine Eternitdach-Lichtplatte und stürzte zehn Meter tief auf den Stallungsboden. Obwohl – Glück im Unglück – einige Rinder den Aufprall dämpften, musste sie schwer verletzt mit dem Rettungshubschrauber in eine Klinik gebracht werden. Lebensgefährliche Verletzungen erlitt am 24. April ein ebenfalls 38 Jahre alter Arbeiter in Brigachtal-Klengen, als er bei Installationsvorbereitungen durch den Lichtdurchlass eines Daches fiel. Zahlreiche Knochenbrüche sind die Bilanz eines Arbeitsunfalls am 16. April, als ein mit Eternitplatten versehener Dachfirst unter einem 41-jährigen Dachdecker aus Bünde nachgab – die Firma wollte vor der Installation einer Photovoltaikanlage den Belag erneuern. In Neuenkirchen-Vörden trat am 14. April ein 30-Jähriger bei Arbeiten an einer Solaranlage auf dem Dach eines Kuhstalles auf eine Kunststoffabdeckung, die unter seinem Gewicht zerbrach, und verletzte sich bei dem Absturz schwer. In Gedern stürzten am 7. April zwei Monteure während der Installation einer Photovoltaikanlage durch eine Lichtplatte etwa acht Meter in die Tiefe und mussten mit zwei Rettungshubschraubern in Frankfurter Kliniken eingeliefert werden. Wenige Tage zuvor hatte ein 42-jähriger Monteur in Walderbach versehentlich eine 20.000-Volt-Leitung berührt, als er eine Photovoltaikanlage installierte – er bekam nicht nur einen Stromschlag, sondern stürzte auch noch sechs Meter ab.

Genaue Zahlen, wie häufig Unfälle bei der Installation von Photovoltaikanlagen sind, gibt es zwar keine: Die Statistiken von Unfallversicherungen und Berufsgenossenschaften schlüsseln Stürze und Abstürze, Handverletzungen und Stromunfälle nicht detailliert genug auf. Aber aus seiner beruflichen Praxis weiß Reinhard Lux, dass beispielsweise Ausrutscher und Durchbrüche bei Solarteuren zum einen nicht selten sind und zum anderen oft zu schweren Verletzungen führen. Der promovierte Ingenieur konzentriert sich bei der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) auf das Thema Arbeitssicherheit. Für die meisten Unfälle dieser Art gibt es einen sehr einfachen Grund, hat Lux festgestellt: unterschätzte Risiken und unterlassene Präventionsmaßnahmen, also menschliches Fehlverhalten. Die Berufsgenossenschaft beobachtet immer wieder, dass Firmen die Sicherung ihrer Mitarbeiter vernachlässigen, beispielsweise um Zeit oder Kosten zu sparen – der Druck seitens vieler Kunden, die Anlageninstallation möglichst schnell und möglichst günstig durchzuführen, ist groß. Aber egal, wie hart der Wettbewerb ist: „Arbeitssicherheit ist für jeden Unternehmer Pflicht, nicht nur nice to have“, betont Lux. Und das schon vor dem ersten Schritt aufs Dach.

Gesetze, Vorschriften und Verordnungen, die den Bereich der Photovoltaik-Installation betreffen, gibt es viele: Arbeitsschutzgesetz, Betriebssicherheitsverordnung, Arbeitsstättenverordnung, Unfallverhütungsvorschriften, Gefahrstoffverordnung, Baustellenverordnung, Landesbauverordnung, Bürgerliches Gesetzbuch, Strafgesetzbuch, Handelsgesetzbuch, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten. Das Schlüsselwort für die Praxis lautet: Gefährdungsbeurteilung. Vor Projektstart – also schon vor Abgabe eines Angebots – muss der Unternehmer die notwendigen Tätigkeiten und Arbeitsbereiche identifizieren, die damit zusammenhängenden Gefährdungen ermitteln und bewerten sowie geeignete Schutzmaßnahmen auswählen, die später in die konkrete Montageanweisung einfließen. Mit Beginn der Arbeiten müssen diese Schutzmaßnahmen dann nicht nur durch- und umgesetzt, sondern auch überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.

Frei ist der Unternehmer bei der Auswahl der Schutzmaßnahmen übrigens nicht. „Die Betriebssicherheitsverordnung beispielsweise schreibt vor, Arbeitsmittel auszuwählen, die am geeignetsten sind, während der Benutzung auf Dauer sichere Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Das bedeutet: Gerüst statt Leiter“, sagt Wolfgang Rösch. Der Ingenieur arbeitet bei der BG Metall Nord Süd im Bereich Prävention. „Und mit der Formulierung, dass dem kollektiven Gefahrenschutz Vorrang vor dem individuellen Gefahrenschutz eingeräumt werden muss, ist gemeint: Absturzsicherungen wie Brüstungen oder Fangnetze statt Anseilschutz.“ Ausschlaggebend sind neben den Vorschriften letztlich die baulichen Gegebenheiten. Am sichersten ist die Montage einer Photovoltaik-Dachanlage für die Arbeiter auf einer Arbeitsbühne. Wenn es nicht möglich ist, ein Gerüst an der Fassade aufzustellen, lässt sich auch eine Konsole auf die Sparren unter den Ziegeln schrauben, allerdings kann die Photovoltaikanlage dann nicht bis zur Dachrinne gebaut werden. Auch eine mobile Hebebühne ist eine Option.

Dass Zeit Geld ist, gilt für viele Gewerke. Daher sind inzwischen Gerüste auf dem Markt, die sich flexibel an unterschiedliche Dächer anpassen und schnell auf- und abbauen lassen. „Zehn Minuten – und das bei höchster Sicherheit“, verspricht beispielsweise Markus Mauderer, Marketingleiter der Mauderer Alutechnik GmbH im süddeutschen Lindenberg. Das Unternehmen bietet seit über 30 Jahren Absturzsicherungen an, die dank des wachsenden Photovoltaikmarktes mehr und mehr von Solarteuren nachgefragt werden. Das Bavaria-Leitern-Blitzgerüst beispielsweise, das aus zwei verstärkten Leitern und einer fünf Meter breiten Arbeitsplattform besteht, kann sowohl als Arbeitsgerüst aufgebaut werden als auch als Dachschutzwand oder als Dachgerüst. „Dieses Gerüst lässt sich sehr viel schneller aufstellen als ein Fassadengerüst. Und dank der kompakten Maße kann der Handwerker es sogar auf einem Pkw transportieren.“

Und auch beim Anseilschutz, der Mitarbeiter an kritischen Stellen wie bei der Entgegennahme von Modulen auf dem Dach oder eben während der Montage von Absturzsicherungen sichert, werden die Systeme ständig weiterentwickelt. Die ABS Safety GmbH im nordrhein-westfälischen Kevelaer beispielsweise hat ein horizontales Sicherungssystem (ABS-ASK 8) entwickelt, das bis zu vier Personen auf flachen und geneigten Dächern sichern kann. Das erstmals verwendete 14 Millimeter dicke Kernmantelseil soll das System leicht, platzsparend und anwenderfreundlich machen. Außerdem lässt sich das System in Kombination mit einem speziellen Anschlagpunkt (Lock X) parallel zum Dachfirst befestigen: Eine Laufrolle und ein Höhensicherungsgerät machen es dann möglich, dass sich der Handwerker frei auf dem Dach bewegen kann, ohne sich ständig neu anschlagen zu müssen.

Eines sollten Solarteure auf dem Dach aber ständig bedenken: das Thema Strom. Der makabre Elektrikerspruch, wonach eine Überdosis Strom klein, schwarz und hässlich macht, bezieht sich zwar vor allem auf Wechselstrom. Aber auch Gleichstrom birgt Risiken – neben Verbrennungen, Schocks oder Herzproblemen kann es beispielsweise auch zu einer Zersetzung des Gewebes durch Elektrolyse kommen, was sich oft erst Stunden oder Tage nach dem Stromschlag bemerkbar macht.

Die Spannungen, die bei einer Photovoltaikanlage unter Lichteinfall entstehen, sind nicht unerheblich: Bei einer einzelnen Siliziumzelle liegt die Spannung etwa bei 0,6 Volt, bei einem Modul ist es entsprechend mehr – und erst recht bei mehreren Modulen in Reihe. Entsprechend fallen die Warnungen der Hersteller aus. Beispiel Aleo: „Die Spannung eines einzelnen Solarmoduls kann bereits für einen elektrischen Schlag ausreichen! Demzufolge erzeugt ein System mit mehreren Solarmodulen hohe Spannungen und Stromstärken, die bei Nichtbeachtung der Gebrauchs- und Montagehinweise eine erhebliche Gefahr für Gesundheit und Leben darstellen können.“

Zwar entscheidet nicht die Spannung, sondern der den Körper durchfließende Strom, ob es zu gesundheitlichen Schäden kommt. Laut BG ETEM können jedoch unter ungünstigen Randbedingungen schon bei Spannungen ab 60 Volt Gleichspannung gefährliche Körperströme fließen. Der konkrete Wert dieses Stroms ergibt sich aus der Spannung und dem elektrischen Widerstand, den der menschliche Körper bildet. Dieser ist nicht konstant und von verschiedenen Parametern wie beispielsweise Körpergewicht oder Zustand der Haut abhängig und liegt im Bereich von 500 bis 3.000 Ohm – schon 60 Volt können also zu einem Stromfluss von zwölf Milliampere und damit zu Krämpfen führen, zu einem Sturz oder einem Schock.

Bei der Montage von Photovoltaikanlagen ist also ebenso viel Umsicht gefragt wie bei anderen elektrischen Anlagen. Während der Montage sollten die Frontseiten der Module mit lichtundurchlässigem Material abgedeckt werden; die Werkzeuge sollten nicht nur isoliert sein, sondern auch trocken. Und Vorsicht: Ein Auseinanderziehen der Kontakte unter Last kann einen Lichtbogen erzeugen. Einen positiven Punkt können die Arbeitsschützer übrigens zum Thema Stromunfälle vermelden: Ihre Zahl sinkt, und sie spielen im Bereich Photovoltaik auch keine so große Rolle wie die Unfälle durch Absturz.

Übrigens wird der Arbeitsunfall in Hamm, bei dem zwei Techniker durch das Dach einer Scheune einbrachen und sechs Meter in die Tiefe stürzten, ein behördliches Nachspiel haben. Während die Staatsanwaltschaft in Dortmund noch ermittelt, kündigt das Amt für Arbeitsschutz in Arnsberg bereits Konsequenzen an. „Es wird sicherlich ein Bußgeld verhängt“, sagt Sprecher Christoph Söbbeler. Denn für die Arbeitsschützer steht bereits fest, dass der Unfall keineswegs unvermeidbar war. Latten oder dergleichen hätten laut Söbbeler zwingend auf dem Dach ausgelegt werden müssen, um eine Lastenverteilung zu erzielen. Ferner hätte von unten ein Netz gespannt werden müssen, um im Notfall durchs Dach brechende Arbeiter aufzufangen.

Für Söbbeler gilt für diesen Unfall, was auch bei vielen anderen Zwischenfällen bei der Montage von Photovoltaikanlagen zutrifft: „Das hätten die Monteure wissen müssen.“

Schutzmaßnahmen bei Dacharbeiten

1. Vorbereitung

• Erstellung einer projektbezogenen Gefährdungsbeurteilung und Montageanweisung • Unterweisung der Mitarbeiter • Durchführung technischer Schutzmaß-nahmen, z. B.- Absturzsicherungen für Verkehrswege und Arbeitsplätze- regelgerechte Absicherung des Baustroms- Absicherung des öffentlichen Verkehrs

2. Absturzsicherungen

Flachdächer: • Absturzsicherung ab zwei Meter Absturzhöhe:- mindestens ein Meter Attikahöhe, Seitenschutz oder Fanggerüst- feste Absperrungen in einem Abstand von mehr als zwei Metern zur Absturzkante (kein Flatterband zulässig) • Sicherung der nicht durchsturzsicheren Einbauten in der Dachfläche unabhängig von der Absturzhöhe (z. B. Überdeckung, Unterfangung oder Umwehrung)

Dachneigungen ≥ 20° und ≤ 45°: • Fanggerüste traufseitig • Seitenschutz oder Fanggerüst an der Giebelseite

Dachneigungen > 45° und ≤ 60°: zusätzlich • Fangeinrichtung auf dem Dach nach fünf Metern Höhenunterschied • Errichtung eines sicheren Standplatzes, zum Beispiel Dachdeckerstuhl, Dachdecker-Auflegeleiter, Lattungen Achtung: Fangeinrichtungen müssen den Arbeitsbereich beidseitig einen Meter überragen.

Nicht durchsturzsichere Dächer, z. B. Wellzementplatten oder lichtdurchlässige Kunststoffplatten: • Verwendung von Laufstegen auf dem Dach (mindestens 0,5 Meter breit) und • Spannen von Auffangnetzen unter dem Dach

Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA): • PSAgA darf nur dann verwendet werden, wenn die Erstellung eines Gerüstes oder Fangnetzes länger dauert als die durchzuführenden Arbeiten oder wenn eine Gerüsterstellung nicht möglich ist • Durchgehende Sicherung vom Aufstieg bis zum Arbeitsplatz • Tragfähigkeit des Anschlagpunktes beachten (mindestens 7,5 Kilonewton) • Benutzung von Sicherheitsdachhaken (DIN EN 517); Schornsteine sind in der Regel nicht tragfähig • Immer Falldämpfer im Verbindungsmittel einsetzen Achtung: Im Absturzfall Rettung sicherstellen und zügig durchführen, denn die maximale Hängedauer im Sicherheitsgeschirr ohne Gesundheitsschäden beträgt nur wenige Minuten.

3. Problem Asbestzementplatten

• Beachtung des Asbestverwendungsverbotes (Gefahrstoffverordnung) • Jegliches Bearbeiten von asbesthaltigem Material ist verboten • In der Regel erteilt die zuständige Behörde keine Ausnahmegenehmigung • Mögliche Arbeitsverfahren für Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten: BGI 664

Quelle: BG ETEM