Vertrauen statt Geld
Investitionen, die sich erst nach mehr als drei Jahren rechnen, sind vielen Einzelhandelsunternehmen ein Graus. Trotzdem finden sich auf immer mehr Standorten Photovoltaikanlagen. Die unterschiedlichen Geschäftsmodelle, die die Interessen aller Beteiligten unter einen Hut bringen, machen diese Installationen möglich...
Die These, dass Einzelhändler eine Krämerseele haben, lässt Jerzy Timm schmunzeln. „Die beste Art zu sparen ist nun mal, das Geld nicht auszugeben“, sagt der technische Leiter des Intersporthauses Timm in Bautzen, das von seiner Frau geführt wird. Trotzdem hat das Ehepaar 2008 beim Neubau seines Geschäftshauses etwa 13 Prozent mehr Geld in die Hand genommen, als für den Bau einer konventionellen Handelsimmobilie nötig gewesen wäre. Angesichts steigender Energiepreise und dem hohen Anteil der Energiekosten an den gesamten Gebäudekosten wollten sie ein Haus errichten, für dessen Betrieb möglichst geringe Aufwendungen anfallen. Das Ergebnis ist ungewöhnlich für eine Handelsimmobilie und eine Weltpremiere für ein Sportgeschäft: ein Passivhaus, das Energie aus Erde, Wasser und Sonne nutzt. Eine geothermische Anlage versorgt das Haus über zehn Erdsonden, die 100 Meter in die Tiefe reichen, mit Erdwärme. Strom für Haustechnik sowie Beleuchtung wirdaus Wasserkraft eingekauft. Und auf dem Dach produziert eine Photovoltaikanlage mit 19 Kilowatt Nennleistung pro Jahr knapp 20.000 Kilowattstunden Strom, die in das öffentliche Netz eingespeist werden, „mehr als doppelt so viel, als wir für Heizen, Kühlen und Lüften verbrauchen“, so Timm.
Für Jerzy Timm war eine Photovoltaikanlage von Anfang an selbstverständlicher Bestandteil seines energieoptimierten Geschäftshauses. Bei vielen anderen Einzelhändlern ist von dieser Selbstverständlichkeit nichts zu spüren. Das liegt vor allem an den Rahmenbedingungen. Die Eheleute Timm, die das Intersporthaus in Bautzen betreiben, sind zum einen am Standort fest verwurzelt und zum anderen Eigentümer der Immobilie. Vielen anderen Händlern hingegen gehören die Immobilien nicht, in denen sie ihre Geschäfte betreiben, außerdem können sie häufig die Präsenz am Standort –den gängigen Mietverträgen in der Branche entsprechend – nur für fünf bis zehn Jahre sicher planen. Trotzdem ist bei vielen das Interesse an erneuerbaren Energien groß, denn mehreren Studien zufolge wächst auch in dieser Branche die Überzeugung, dass ein Unternehmen nur dann langfristig erfolgreich sein kann, wenn es gelingt, wirtschaftliche, ökologische und soziale Belange in Einklang zu bringen.
Am einfachsten gestaltet sich die Umsetzung von Solarprojekten auf Einzelhandelsimmobilien natürlich, wenn – wie im Fall des Intersporthauses Timm – sowohl Gebäude als auch Photovoltaikanlagen den Einzelhändlern gehören. Aber es geht auch anders. In der Schweiz beispielsweise stellt das Handelsunternehmen Migros, das bereits im Jahr 1990 in der Ostschweiz zwei Anlagen auf eigenen Immobilien errichtete und schon zweimal den Schweizer Solarpreis für sein Photovoltaikengagement bekommen hat, die größeren Dächer seiner Liegenschaften Energieversorgern zum Teil kostenlos für Solarkraftwerke zur Verfügung. So selbstlos muss allerdings kein Unternehmen sein, denn die Vermietung einer eigenen Dachfläche an einen Anlagenbetreiber ist vergleichsweise einfach. In Hannover beispielsweise konnte das Unternehmen Windwärts auf dem Dach der Ernst-August-Galerie des Hamburger Shoppingcenter-Betreibers ECE seine fünfte und mit 265 Kilowatt zugleich größte Photovoltaikanlage im Stadtgebiet Hannover errichten. Und die Drogeriemarktkette dm hat das Dach ihres Distributionszentrums in Weilerswist für eine der größten privaten Photovoltaikanlagen Deutschlands mit einem Megawatt Nennleistung vermietet.
Ohnehin stehen Verteil- und Logistikzentren des Einzelhandels für die Installation von Photovoltaikanlagen hoch im Kurs: Die Dächer sind vergleichsweise groß, und die Nutzung dieser Gebäude – gleichgültig ob sie dem Unternehmen selbst gehören oder gemietet sind – ist meist auf einen deutlich längeren Zeitraum ausgelegt als bei Filialstandorten. Das erlaubt Photovoltaikinstallationen im großen Stil – und ebensolche Investitionen. Beispiel Aldi: Bisher stehen dem Unternehmen zufolge 58 Solaranlagen auf Filialdächern von Aldi Süd und 38 auf Logistikzentren; insgesamt handelt es sich um knapp 32 Megawatt. Auch auf Dächern von Aldi Nord sowie auf Aldi-Standorten im Ausland gibt es Photovoltaik, allerdings keine Zahlen dazu. Was es gibt, sind dazu gehörende Investmentfonds: Die Münchner Deutsche Capital Management AG (DCM) hat bereits drei geschlossene Fonds aufgelegt, über die Anleger rund 62 Millionen Euro in Photovoltaikanlagen auf Aldi-Logistikdächern investiert haben. Aldis Vorteil ist bei den meisten dieser Anlagen übrigens nicht nur die Dachmiete: Zum Paket gehört regelmäßig die Vorab-Sanierung des betreffendes Dachs, die Aldi zum eineneine 20-jährige Materialgarantie beschert und zum anderen eine Installation der Anlage ohne Durchdringung der Dachhaut möglich macht.
Bei megawattstarken Photovoltaikprojekten auf den Verteil- und Logistikzentren großer Ketten muss es jedoch nicht bleiben. Auch das zeigt das Beispiel dm: Die Drogeriemarktkette treibt in der Fläche ebenfalls die Installation von Photovoltaikanlagen voran, obwohl die Rahmenbedingungen besonders schwierig sind – dm gehören weder die Gebäude, in denen die Filialen betrieben werden, noch die inzwischen 30 Photovoltaikanlagen auf deren Dächern. „dm möchte seine Vermieter bei der Umstellung auf regenerative Energien unterstützen“, sagt Markus Trojansky, dm-Geschäftsführer Expansion. Das passt zum Image: Der Satz „Wir machen den Unterschied“ soll nicht nur in gestickten Lettern auf der Bekleidung der Beschäftigten stehen, sondern auch gelebt werden. „Ob Photovoltaik, Geothermie oder Windkraft – die Möglichkeiten sind vielfältig. Daher sind die Akquisiteure von dm immer auf der Suche nach Partnern.“ Im Fokus stehe dabei nicht die Errichtung eines einzelnen Mustermarktes oder anderer Leuchtturmprojekte, sondern die Suche nach Lösungen für möglichst viele dm-Märkte, egal ob in bestehenden Gebäuden oder in Neubauten.
Allein in Deutschland umfasst das dm-Filialnetz inzwischen mehr als 1.100 Märkte, Tendenz steigend. dm will diese Expansion sowohl erfolgreich als auch ökologisch sinnvoll gestalten: Der Ressourcenverbrauch soll nicht proportional zur Anzahl der Filialen zunehmen. Trojansky: „Gemeinsam mit den Vermietern unserer Filialen möchten wir daher für jedes Gebäude prüfen, ob und mit welcher Technik die Gewinnung alternativer Energie in dm-Märkten möglich ist. Wir setzen dabei auf flexible und individuelle Lösungen, die wir gemeinsam mit unseren Vermietern und Partnern erarbeiten.“ Das Unternehmen habe beispielsweise Kontakte zu verschiedenen Partnerunternehmen für die Realisierung von Photovoltaikanlagen und könne, sobald ein potenzieller Anlagenbetreiber Interesse zeige, zwischen Investoren, den Partnern und den Vermietern von dm-Märkten vermitteln. Die in solchen Fällen übliche Dachmiete ist Trojansky zufolge für den Besitzer des Gebäudes nur ein Vorteil. „Aufgrund des öffentlichen Interesses am Thema Nachhaltigkeit und der damit verbundenen steigenden Nachfrage nach energieeffizienten Gebäuden steigert die Photovoltaikanlage auch die Attraktivität einer Immobilie.“
Oft sind es aber die weniger greifbaren Aspekte, die Besitzer von Gewerbeimmobilien dazu bewegen, ihr Dach für die Installation einer Photovoltaikanlage zur Verfügung zu stellen. „Vertrauen ist entscheidend, nicht Geld“, sagt Jörg Probst. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Essener Ingenieurgesellschaft Gertec, die unter anderem dm im Bereich Energie berät, aber auch Geschäftsführer des EWS-Schwesterunternehmens Kraft-Wärme-Schönau (KWS), das ökologische Stromerzeugungsanlagen in ganz Deutschland projektiert und finanziert. Für die Realisierung von Photovoltaikanlagen auf Einzelhandelsstandorten ist es aus seiner Sicht der beste Weg, ein Modell zu entwickeln, was in erster Linie den Vermieter anspricht. Dabei sei die Dachmiete aber zu gering, um tatsächlich den Ausschlag zu geben. „Auf eine klassische Einzelhandelsfiliale passen ungefähr 30 Kilowatt. Als Dachmiete bekommt der Besitzer des Gebäudes vielleicht 2.000 bis 4.000 Euro im Jahr. Und damit können Sie nicht wirklich das Entgegenkommen bezahlen, das Sie brauchen, um auf einem fremden Dach eine Photovoltaikanlage zu bauen und zu betreiben.“ Das gelte auch für deutlich größere Anlagen. Als Beispiel nennt Jörg Probst das Verteilzentrum des Bio-Lebensmittlers Alnatura in Lorsch. Der Düsseldorfer Projektentwickler Greenfield Development hat das Logistikzentrum 2009 gebaut und - da es getreu dem Alnatura-Slogan „Sinnvoll für Mensch und Erde“ ein Bio-Verteilzentrum werden sollte - die Dachmiete bundesweit ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt die Kraft-Wärme-Schönau; in ihrem Auftrag realisierte Gertec in Zusammenarbeit mit Goldbeck Solar den Alnatura-Sonnengarten, eine 7.821 Quadratmeter große Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 1,1 Megawatt.„Für diese Anlage haben wir ganze 648 Löcher in das Dach des Gebäudes gebohrt“, schildert Probst. „Da braucht der Besitzer nicht in erster Linie eine hohe Dachmiete, sondern den Willen zum Projekt und vor allem die Sicherheit und das Vertrauen, dass Sie engagiert und seriös arbeiten und ein solches Vorhaben auch fachlich stemmen können. Und dafür schauen Sie einander lange in die Augen.“
Ein positives Verhältnis zur Photovoltaik und Vertrauen in die geschäftlichen Partner – beides zieht sich als roter Faden durch die Photovoltaikprojekte, die es bislang auf den Dächern von Einzelhandelsimmobilien gibt. Das Ellwanger Photovoltaikunternehmen Walter beispielsweise hat 2009 im Auftrag der Drogeriemarktkette Müller deren Hauptsitz in Ulm mit einer Photovoltaikanlage belegt, 2010 gab es Folgeaufträge für das Logistikzentrum in Ulm sowie insgesamt 18 Filialen in Süddeutschland. Insgesamt besitzt Müller jetzt Photovoltaikanlagen mit einem Gesamtvolumen von 5,34 Megawatt. Goldbeck Solar, von Gertec mit dem Alnatura-Sonnengarten betraut, hat als Subunternehmer von REC Ende 2010 auf Ikea-Filialen in Regensburg und Freiburg Photovoltaikanlagen errichtet, jetzt liefert REC die Module für mehrere Ikea-Projekte in den USA. Allein in Deutschland hat der Möbelkonzern von 2008 bis 2010 zehn Photovoltaikanlagen gebaut. Ob weitere folgen werden, ist derzeit noch offen, aber nicht unwahrscheinlich. Immerhin hat Ikea inzwischen angesichts des Unternehmensziels, die Energieeffizienz der Märkte zu steigern, alle Standorte auf Photovoltaiktauglichkeit überprüft. Auch bei dm soll es weitergehen mit der Installation von Photovoltaikanlagen. Dem Unternehmen zufolge sind von den über 1.100 Filialdächern rund 300 für den Einsatz von Photovoltaik geeignet, davon sind im Moment aber erst zehn Prozent tatsächlich mit Anlagen bestückt. „Und selbst wenn kein geeignetes Dach zur Verfügung steht, kann Solarstrom gewonnen werden, zum Beispiel mit fassadenintegrierten Anlagen“, sagt Markus Trojansky.
Die für Solarprojekte notwendige Kommunikation mit den Besitzern der Immobilien ist jedenfalls lebendiger und leichtgängiger geworden, hat Energieberater Jörg Probst beobachtet. „Die Technik gilt als etabliert und ein Investment als sicher, auch die Vermietung von Dachflächen ist nichts Besonderes mehr. Außerdem sieht eine Photovoltaikanlage an oder auf dem Gebäude einfach gut aus. Seit etwa ein bis zwei Jahren kann man daher mit den Vermietern sehr viel besser über Photovoltaik reden.“ Gute Aussichten nicht nur für dm, findet Probst, zumal der Handel trotz aller Effizienzbemühungen eine Branche bleibe, die besonders unter steigenden Energiepreisen leide. Leuchtturmprojekte seien da keine Lösung. „Wir brauchen Photovoltaikkonzepte, die sich sinnvoll multiplizieren lassen. Viele kleine Schritte sind vielleicht nicht sehr öffentlichkeitswirksam. Aber sie führen oft weiter als ein einzelner Sprung.“ Außerdem lassen sich sinnvolle kleine Schritte mit jeder Krämerseele vereinbaren.