Von der Spielwiese zum Businesscase
Die Modemarke Brax treibt das Thema Omnichannel engagiert voran. Im Zentrum steht die Zufriedenheit der Kunden über alle Kanäle hinweg...
Traditionalisten und Disziplinierte über 59 Jahre – so beschreibt Marketingleiter Marc Freyberg die Kundenbasis der Modemarke Brax. Dass auch Traditionalisten mit der Zeit gehen, zeigt die tiefgreifende Digitalisierung, die das gegründete 1888 Unternehmen mit Sitz im ostwestfälischen Herford vorantreibt. „ Auch eine Firma mit langer Geschichte muss sich immer wieder neu aufstellen“, sagte Freyberg im Rahmen der Konferenz Mobil in Retail Ende Oktober in Berlin. Die Omnichannel-Aktivitäten des Unternehmens sind dabei inzwischen weit mehr als eine digitale Spielwiese: Die von Freyberg geschilderten Entwicklungen und Erfahrungen weisen deutlich in Richtung erfolgreicher Businesscase.
Begonnen hat die Neuaufstellung stationär, als die Modemarke Brax 2007 ihren ersten eigenen Store eröffnete. Schon 2009 folgte der eigene Online-Shop. „Kanalübergreifend wird kaum gekauft“, sagt Freyberg jedoch selbst nach zehn Jahren Präsenz in der Onlinewelt: „95 Prozent der Kunden bleiben in ihrem bevorzugten Kanal.“ Trotzdem arbeitet Brax daran, das Silodenken des Multichannels aufzubrechen und Omnichannel-Elemente voranzutreiben. Leitgedanke bei allen Maßnahmen ist laut Freyberg die Customer Centricity. „Wir wollen Kunden bestmöglichen Service, maximalen Komfort und das beste Einkaufserlebnis bieten.“ Brax sieht sich dank seines ausgefeilten CRM-Systems sehr weit vorn auf dem Weg zum gläsernen Kunden. Das Unternehmen analysiert genau, wer wann wie oft und zu welchem Preis einkauft und pflegt die Kunden entsprechend. Die Kundenkarte beispielsweise ist bei Brax weiterhin ein extrem wichtiges Instrument. Und mit den 500.000 Mitgliedern, die dem Kundenclub angehören, macht das Unternehmen 70 Prozent seines Umsatzes.
Übrigens sieht Brax auch in Plattformen wie Amazon, Zalando, Otto und About you einen interessanten Omnichannel-Weg. Zum einen haben solche Kanäle einen starken Einfluss auf den Strukturwandel und das Kaufverhalten in Richtung Online. Zum anderen ermöglichen sie Brax Kontakte zu neuen Zielgruppen, die bislang wegen des eher traditionellen Image des Modeherstellers dessen Sortiment links liegen gelassen haben. Denn das Modehaus beschäftigt sich nicht nur mit den eher traditionellen Stammkunden über 59, sondern auch mit der offenen Zielgruppe ab 40 und erreicht diese im zunehmenden Maße.
In den eigenen Stores und im Online-Shop nutzt Brax inzwischen das gesamte Omnichannel-Instrumentarium: Reserve & Collect sowie Instore Return seit 2015, Click & Collect sowie Instore Order seit 2016. Vor allem bei Click & Collect sind die Nutzerzahlen gering. Das spiegelt laut Freyberg den eher niedrigen Kundennutzen wider. Denn zum einen sind Brax-Standorte häufig in der Innenstadt, was das Parken teuer beziehungsweise umständlich macht, zum anderen liefert Brax Online-Bestellungen versandkostenfrei nach Hause. Da Brax – zumindest noch – auch kostenlose Retouren anbietet, ist die Nachfrage nach Instore Return ebenfalls überschaubar. Auf größeres Interesse stößt die Reservierungsfunktion Reserve & Collect. Aus Brax-Perspektive ist das jedoch ein zweischneidiges Schwert, da die Abholquote eher gering ist und reservierte Ware nicht an Interessenten im Store verkauft werden kann.
Vergleichsweise spannend ist für Brax dagegen Instore Order. Denn dieser Service bietet den Verkäufern auf der Fläche die Möglichkeit, die Anzahl der Kunden, die aufgrund von fehlender Ware nichts kaufen, deutlich zu reduzieren. Wenn beispielsweise die gewünschte Größe nicht vorrätig ist, können sich Kunden die Ware entweder in den Laden oder kostenlos nach Hause liefern lassen. „Das ist für uns ein echtes Thema“, so Freyberg: „Ein Kunde darf einfach nicht mit einem No-show den Laden verlassen.“ Hier zeigt sich ein weiterer wesentlicher Faktor für einen erfolgreichen Omnichannel-Ansatz: „Alles im Bereich Omnichannel steht und fällt mit der Motivation und dem Know-how des Personals auf der Fläche“, sagt Freyberg.
Auf der Fläche heißt bei Brax jedoch häufig: bei den externen Handelspartnern. Und das macht das Thema komplex. Denn während ein Händler letztlich nur sein Kassensystem und seine Warenwirtschaft mit dem Online-Kanal verknüpfen muss, geht es bei einem Hersteller wie Brax darum, das eigene Geschäft mit dem von diversen Franchise-und Wholesale-Partnern zu verbinden und das gleiche kanalübergreifende Einkaufserlebnis der Brax-Endkunden auch bei den Partnern umzusetzen. Technisch möglich wäre über entsprechende Schnittstellen vieles. Händler könnten beispielsweise Brax-Daten für virtuelle Regalverlängerungen und eine optimierte Kundenansprache nutzen. Brax könnte mit Zugriff auf Bestandsdaten der Fachhandelspartner seine Kunden im Online-Shop darüber informieren, ob ihr Wunschkleidungsstück beim Händler vor Ort gerade in der passenden Größe vorrätig ist, und dort Reserve & Collect ermöglichen.
Wegen der tiefen gegenseitigen Einblicke und der großen Datenmengen wird Vertrauen der Schlüssel zu solchen Kooperationen sein. Freyberg jedenfalls ist sicher, dass die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel in Zukunft zunehmen wird: „Die Zeit, einzeln zu handeln, ist vorbei.“