Wege gegen Missstände
Das Hinweisgeberschutzgesetz eröffnet Beschäftigten seit einem Jahr neue Wege, um anonym und ohne Angst vor Repressalien gegen Missstände in ihren Unternehmen vorzugehen. Arbeitsschutzbeschwerden gehen bei den dafür eingerichteten Meldestellen allerdings kaum ein – wahrscheinlich weil es dafür schon seit Jahren andere bewährte Möglichkeiten gibt.
Vor gut einem Jahr hat die Bundesregierung die sogenannte „Whistleblower-Richtlinie“ der EU in deutsches Recht umgesetzt: Das „Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen“, kurz Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG), ist seit dem 2. Juli 2023 in Kraft. Hintergrund ist, dass Beschäftigte in Betrieben Missstände oft als erste wahrnehmen und mit Hinweisen dafür sorgen können, dass Rechtsverstöße aufgedeckt, untersucht, verfolgt und unterbunden werden. Das Gesetz soll sie dabei vor möglichen negativen Folgen wie Stress mit dem Arbeitgeber schützen.
Für die Hinweise müssen Unternehmen ab 50 Beschäftigten einen internen Meldekanal einrichten (zu den rechtlichen Grundlagen siehe „Das neue Hinweisgeberschutzgesetz“, https://www.sifa-sibe.de/recht/hinweisgeberschutzgesetz-missstaende-aufdecken/). Außerdem gibt es externe Anlaufstellen wie beispielsweise die Mitte 2023 eröffnete Meldestelle des Bundes beim Bundesamt für Justiz. Stand 18. Juli 2024 sind dort mehr als 1000 Hinweise eingegangen, 104 davon betrafen inhaltlich – zumindest auch – den Schutz der Arbeitnehmergesundheit, der Arbeitnehmersicherheit und der Arbeitsbedingungen. Wie Sprecherin Pia Figge erläuterte, geht es darin häufig um die mögliche fehlende Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes, insbesondere um die Überschreitung der werktäglich zulässigen Arbeitszeit und die Nichtbeachtung gesetzlich vorgesehener Pausenzeiten. Auch mögliche Verstöße gegen die Arbeitsstättenverordnung seien Themen der Hinweise.
„Die externe Meldestelle des Bundes ist keine Ermittlungsbehörde und kann zum Beispiel keine Durchsuchungsmaßnahmen oder die Beschlagnahme von Beweismitteln veranlassen“, so Figge. Sofern der Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes eröffnet und die Meldung stichhaltig sei, werde der Fall daher an die zuständige Behörde abgegeben, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen an die zuständige Bezirksregierung. Diese untersuche den Sachverhalt dann in eigener Zuständigkeit.
In einigen Bundesländern wie Hamburg, Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg haben die zuständigen Behörden Mitte 2023 zentrale Arbeitsschutztelefone freigeschaltet. Im Hamburg geht es bei den meisten Anrufen um Anfragen zur Auslegung unterschiedlichster Rechtsgebiete des Arbeitsschutzes, während Beschwerden beziehungsweise Hinweise nur fünf bis neun Prozent der Anrufe ausmachen, so Dennis Sulzmann, Sprecher der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz. Diese werden immer anonym behandelt und mögliche nächste Schritte mit dem Hinweisgeber abgestimmt.
In Brandenburg werden grundsätzlich über das Arbeitsschutztelefon keine Informationen über die Art oder den Inhalt des Anrufes gespeichert, eine Auswertung ist daher nicht möglich. „Das Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (LAVG) erfasst jedoch alle im Bereich Arbeitsschutz eingehenden Beschwerden, unabhängig von Beschwerdeführenden, Beschwerdeinhalt oder Eingangsform“, so Sprecher Martin Wandrey. Die Zahl schwankt demnach von Jahr zu Jahr, ein Einfluss des Hinweisgeberschutzgesetzes ist nicht erkennbar. Am häufigsten sind Beschwerden zur Arbeitszeit oder zur Arbeitsstätte. „Die Abteilung Arbeitsschutz des LAVG geht grundsätzlich allen Beschwerden nach. Im Regelfall erfolgen daraufhin Vor-Ort-Besichtigungen in den Betrieben oder auf Baustellen“, erklärt Wandrey. Sind die Beschwerden begründet, was laut Wandrey bei mehr als 80 Prozent der Fall ist, veranlasst das LAVG mittels eines Verwaltungsverfahrens die Abstellung der Missstände.
Dass das neue Hinweisgeberschutzgesetz sich in Deutschland im Bereich Arbeitsschutz kaum bemerkbar macht, liegt wahrscheinlich am Arbeitsschutzgesetz: In Paragraf 17 ist das sogenannte Whistleblowing als Beschwerderecht bereits fest verankert. Als erster Schritt müssen die Beschäftigten zwar zunächst den Arbeitgeber auffordern, die Vorschriften zur Arbeitssicherheit einzuhalten. Dafür muss aber niemand persönlich seinen Chef oder Vorgesetzten ansprechen, sondern kann sich auch an eine andere verantwortliche Stelle innerhalb des Unternehmens wenden, etwa an die Fachkraft für Arbeitssicherheit oder den Betriebsrat. Wichtig für alle Whistleblower: Für eine auf konkreten Anhaltspunkten beruhende Beschwerde dürfen Arbeitgeber die Beteiligten weder abmahnen noch versetzen oder kündigen.
Wenn der Arbeitgeber auf den Hinweis nicht reagiert, können Beschäftigte in allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes Kontakt zur zuständigen Arbeitsschutzbehörde aufnehmen und sich über das Unternehmen beschweren; Betriebs- und Personalräte haben ebenfalls ein Beschwerderecht. Anlaufstellen sind etwa die Gewerbeaufsichtsamt, die Bezirksregierung, das Landesamt für Arbeitsschutz oder der Technische Aufsichtsdienst der jeweiligen Berufsgenossenschaft. „In der Regel findet ein erster Besuch beim Arbeitgeber oder in der Arbeitsstätte des Beschwerdeführers innerhalb weniger Tage statt“, erläutert die Bezirksregierung Köln. „Dies bedeutet jedoch nicht, dass alle Mängel sofort abgestellt werden können. Sofern nicht Gefahr im Verzug vorliegt, sind dem Arbeitgeber entsprechende Fristen zu setzen, bis wann Maßnahmen umzusetzen sind.“ Auf jeden Fall gehen die Behörden den Beschwerden bei dem jeweiligen Arbeitgeber grundsätzlich anonym nach.
Übrigens: Beschäftigte haben nicht nur das Recht, auf Missstände hinweisen. Sie haben laut Arbeitsschutzgesetz auch die Pflicht, für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen. Unter anderem müssen sie jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit sowie jeden an den Schutzsystemen festgestellten Defekt unverzüglich melden.
Antworten und Ansprechpartner
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat online eine Liste mit häufigen Fragen zusammengestellt und beantwortet.
https://www.dgb.de/service/ratgeber/hinweisgeberschutzgesetz/
Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gibt es für alle Bundesländer die Adressen und Kontaktinformationen der vor Ort für den Arbeitsschutz zuständigen staatlichen Behörden.
https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeitsgestaltung/Arbeitsstaetten/Bauwirtschaft/pdf/Arbeitsschutzbehoerden.pdf?__blob=publicationFile&v=13