Der Sonne entgegen

Grelles Sonnenlicht verursacht in Deutschland die meisten witterungsbedingten Unfälle. Sonnenblenden, getönte Brillengläser und saubere Scheiben können gegen die Blendung helfen – und bald vielleicht auch künstliche Intelligenz…

Nebel, Eisglätte, Aquaplaning – das sind oft die ersten Assoziationen, wenn es um Ursachen für witterungsbedingte Unfälle geht. Dabei gibt es nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes für zwei Drittel dieser Unfälle einen Auslöser, der in der Regel mit gutem Wetter verbunden wird: die Sonne. Dass grelles Sonnenlicht die Sicht behinderte, sorgte allein im Jahr 2018 für mehr als 3.700 Unfälle im Straßenverkehr, bei denen 45 Menschen ums Leben kamen und 4881 verletzt wurden. Häufig handelt sich dabei um Auffahrunfälle oder Kollisionen mit anderen Hindernissen. Denn wer geblendet wird, kann Ampeln und Verkehrszeichen schlechter erkennen und andere Verkehrsteilnehmer oder Hindernisse leichter übersehen.

Besonders groß ist die Unfallgefahr dem ADAC zufolge, wenn die Sonne während des morgendlichen und abendlichen Berufsverkehrs auf- oder untergeht – und auch sonst immer dann, wenn die Blendung plötzlich auftreten kann, beispielsweise in Kurven, auf Kuppen, bei Ein- und Ausfahrten von Tunneln und Unterführungen oder wenn die Sonnenstrahlen in Pfützen, auf nassen Straßen oder Schneeflächen reflektieren. Und wer bei Tempo 50 nur eine Sekunde geblendet ist, legt dabei knapp 14 Meter im Blindflug zurück.

Um auch bei starkem Sonnenschein gute Sicht zu haben, ist es meistens ausreichend, eine Sonnenbrille aufzusetzen und die Sonnenblende im Fahrzeug herunterzuklappen. Doch wenn die Sonne kräftig scheint und und ihre Strahlung oder Reflektion direkt von vorne kommt, kann das selbst dann noch die Sicht nehmen – zumindest so lange wie Hightechlösungen wie der „Virtual Visor“, den Bosch bei der jüngsten Consumer Electronics Show in Las Vegas vorgestellt hat, nocht nicht serienreif sind (siehe Kasten „Hightech für mehr Durchblick“). Automobilclubs wie der ADAC und Prüforganisationen wie TÜV und Dekra haben Tipps zusammengestellt, wie Autofahrer schon jetzt die Gefahr von Blendunfällen reduzieren können. Ansetzen lässt sich an etlichen Punkten: beim Zustand des Fahrzeugs, beim Schutz der Augen und bei der Fahrweise.

Wenn die Sonne akut blendet, sollten Autofahrer den Fuß vom Gas nehmen und den Blick auf den rechten Fahrbahnrand senken. Dabei sollten sie abrupte Fahr- und Bremsmanöver unbedingt vermeiden, um den nachfolgenden Verkehr nicht zu gefährden. Wer versehentlich direkt in die Sonne geschaut hat, ist für kurze Zeit nahezu blind. In dem Fall ist eine Pause sinnvoll, denn die Augen brauchen ein paar Minuten, um sich zu regenerieren.

Treffen Lichtstrahlen auf verschmutztes Glas oder Fettrückstände auf den Oberflächen, werden sie stärker gebrochen und erhöhen den Blendeffekt. Daher sollte die Windschutzscheibe immer möglichst sauber sein. Frostsichere Wischwasser-Zusätze verhindern Schlierenbildung, verschlissene Wischerblätter müssen ausgetauscht werden. Außerdem sollte die Scheibe regelmäßig auch von innen gereinigt werden. Visiere von Motorradhelmen und die Gläser von Brillen sollten ebenfalls vor der Fahrt geputzt werden.

Brillen sind ohnehin ein wichtiger Faktor. Entspiegelte Brillengläser bieten den Vorteil, dass sie irritierende Lichtreflexe reduzieren. Sonnenbrillen oder getönte Aufsteckgläser können zudem unerwünschte Helligkeit abschirmen – bis Blendschutzkategorie 3 lassen die Gläser noch ausreichend Licht durch, um am Straßenverkehr teilnehmen zu können. Informationen zur Lichtdurchlässigkeit der Brille stehen meist auf der Innenseite der Bügel mit dem Aufdruck der Kategorie (zum Beispiel „CAT 3“). Auf Sonnenbrillen ab Kategorie 4 sollten Autofahrer verzichten, ebenso auf Sonnenbrillen mit roten, blauen oder orangen Gläsern. Diese können die Farben von Straßenschildern und Ampeln verfälschen. Außerdem ist beim Fahren mit Sonnenbrille in Tunneln und Unterführungen Vorsicht geboten. Das gleiche gilt für selbststönende Gläser, die immer eine Weile brauchen, um sich an veränderte Lichtbedingungen anzupassen.

Im Fahrzeug selbst kann die Sonnenblende Probleme durch eine tief stehende Sonne verhindern. Wenn die Strahlen unter der Blende hindurch scheinen können, ist eventuell die Sitzposition zu tief; diese sollte möglichst aufrecht sein. Außerdem sollten Autofahrer bei ungünstigem Sonnenstand die Geschwindigkeit entsprechend reduzieren und den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug vergrößern.

Übrigens: Bei einem Unfall hilft die Ausrede einer blendenden Sonne nicht. Gerichte und Versicherungen werten es in der Regel als grobe Fahrlässigkeit, wenn es in so einer Situation zu einem Unfall kommt.

Hightech für mehr Durchblick
Die Firma Bosch hat eine Hightech-Lösung entwickelt, die den Fahrer mit künstlicher Intelligenz bei schwierigen Lichtverhältnissen durch eine tief stehende Sonne unterstützt. Erfunden hat diesen „Virtual Visor“ bei Bosch in den USA ein dreiköpfiges Team von Ingenieuren, die normalerweise Antriebslösungen entwickeln. Statt der klassischen Sonnenblende, die im heruntergeklappten Zustand nicht nur die Sonne abhält, sondern auch das Sichtfeld verkleinert, werden beim „Virtual Visor“ im Fahrzeuginneren ein transparentes LCD-Display und eine auf den Fahrer ausgerichtete Kamera angebracht.

Die Innenraumkamera beobachtet das Gesicht des Fahrers während der Fahrt. Anhand dieser Bilder analysieren intelligente Algorithmen permanent sowohl die Gesichtspartien wie Augen, Nase und Mund als auch die Blickrichtung des Fahrers sowie den Schatten, den die Sonne auf sein Gesicht wirft. Diese Daten ermöglichen es dem System, nur einzelne kleine Bereiche des auf der Windschutzscheibe angebrachten LCD-Displays zu verdunkeln – ausreichend groß, um einen Schatten im Bereich der Augen des Fahrers entstehen zu lassen und damit eine Blendung durch die Sonne zu verhindern. Der Rest des Displays bleibt durchsichtig, so dass das Sichtfeld nicht unnötig eingeschränkt wird.

Auf der jüngsten Consumer Electronics Show in Las Vegas erhielt die Entwicklung einen „Best of Innovation“-Award und ist inzwischen Teil des Entwicklungsportfolios des Bosch-Geschäftsbereichs Car Multimedia. Serienreif ist der Visor noch nicht. Aber eigenen Angaben zufolge arbeitet Bosch mit ersten Herstellern bereits an einer möglichen Umsetzung.