„Gute Passform ist das A und O“

Die Trageakzeptanz von Berufskleidung und PSA hängt von vielen Faktoren ab. Simone Morlock, Leiterin des Forschungsteams Scanning, Passform & Ergonomie beim Hohenstein Institut für Textilinnovation, nennt im Interview einige Gründe, warum es sich lohnt, der Passform besonderes Augenmerk zu schenken.

Frau Morlock, mehr als 22 Millionen Menschen in Deutschland tragen Tag für Tag Berufsbekleidung. Schenken wir dieser Kleidung genug Aufmerksamkeit?
Aus meiner Sicht nimmt die Aufmerksamkeit zu. Berufsbekleidung genießt heute einen anderen Stellenwert als noch vor 20 Jahren. Sie muss natürlich nach wie vor die geltenden Normen erfüllen – denken Sie beispielsweise an Themen wie Hygiene oder Witterungsschutz. Gleichzeitig erwarten immer mehr Beschäftigte, dass die Kleidung richtig passt. Seit einigen Jahren spielt außerdem die Optik eine größere Rolle.

Woher kommt diese Entwicklung?
Ich denke, wir sind alle sensibler geworden für bestimmte Zusammenhänge. Dass Berufsbekleidung und PSA alle Normen erfüllen, reicht im Alltag nicht aus – die Teile müssen auch getragen werden. Bei einem Unfall beispielsweise schauen die Versicherungen heute sehr viel genauer hin, ob die betroffene Person auch vorschriftsmäßig ausgestattet war. Die Arbeitgeber achten daher verstärkt darauf, dass die Beschäftigten die Ausrüstung auch nutzen. Diese Trageakzeptanz nimmt natürlich deutlich zu, wenn die Beschäftigten ihre Kleidung gerne tragen. Und das nutzt wiederum dem Arbeitgeber, weil in der Regel die Arbeitsleistungen besser werden, wenn Beschäftigte sich wohl fühlen.

Welche Aspekte sind wichtig für eine hohe Trageakzeptanz?
Wie gesagt, spielt die Optik eine wachsende Rolle. Aber auch ein schickes Teil wird nicht gerne getragen, wenn es „zwickt und zwackt“. Das macht die richtige Passform zu einem ganz entscheidenden Faktor.

Klingt einfach…
… ist aber eher kompliziert. Die Vielfalt von Körperformen und Haltungsvarianten innerhalb der Konfektionsgrößen ist enorm. Daher reicht es gerade bei der Berufsbekleidung nicht aus, nur die Standardgrößen anzubieten. Die Hersteller hier müssen unterschiedliche Längen und Figurtypen abdecken – und das über ein sehr großes Größenspektrum hinweg, von den sehr kleinen bis hin zu den sehr großen Größen. Das aktuelle Problem bei der Berufsbekleidung für Männer ist: Teilweise basieren die Größentabellen, mit denen heute gearbeitet wird, immer noch auf Daten aus den 1960er Jahren. Und das obwohl es seit der letzten repräsentativen Reihenmessung SizeGERMANY in Deutschland aktuelle Körpermaße gibt. Oft werden dann teure Sonderanfertigungen nötig – daher ist es höchste Zeit, die eigenen Größentabellen zu aktualisieren.

Machen Frauen das Thema passende Berufsbekleidung jetzt noch komplizierter?
Nicht komplizierter, aber vielfältiger. Der Körperbau einer Frau unterscheidet sich in einigen wichtigen Punkten von dem eines Mannes. Frauen haben eine Cup-Ausprägung. Ihre Muskelverteilung ist anders, daher frieren sie beispielsweise auch schneller. Auch im Bereich von Hüfte und Oberschenkel ist die Anatomie unterschiedlich. Das ist vor allem bei der Hosenpassform zu beachten. Bei Helmen funktionieren Unisex-Modelle problemlos, bei Handschuhen gibt es nur kleine Unterschiede, aber bei Hosen, Westen, Jacken etc. sind die Unterschiede ziemlich groß. Dass Hersteller und Arbeitgeber darauf Rücksicht nehmen, ist sehr wichtig. Bei sogenannten Frauenberufen ist das seit Jahrzehnten selbstverständlich. Und je stärker Frauen in bisherige Männerdomänen vordringen, umso größer wird auch dort die Nachfrage. Denn wenn Kleidung nicht richtig passt und daher unbequem ist, hat das Auswirkungen über den Komfort hinaus.

Inwiefern?
Textilien können nicht optimal funktionieren, wenn sie nicht gut sitzen: Beispielsweise kann Kälte unter die Jacke kriechen, oder man schwitzt mehr als sonst, weil die Temperaturregulation nicht klappt. Die Probleme können aber auch gravierender sein. Wenn eine Hose nicht passt, werden Knieprotektoren immer zu hoch oder zu tief hängen. Und wenn eine Jacke nicht passt, sind sehr wahrscheinlich die Reflektorstreifen ungünstig platziert – und im schlimmsten Fall gar nicht zu sehen.

Bestimmt eigentlich auch die Tätigkeit, ob die Passform von Berufsbekleidung gut ist?
Die Körpermaße der Menschen verändern sich bei Bewegung. Was im Stehen gut sitzt, kann trotzdem im Job behindern. Daher arbeitet die Hohenstein Group im Forschungsprojekt „Funktionsmaße“ gerade an einem neuen Größensystem: Es berücksichtigt die bewegungsbedingten Körperveränderungen und soll einen Beitrag dazu leisten, Bekleidung für Frauen und Männer funktionell und ergonomisch zu optimieren. Im Sommer 2018 wird das Forschungsprojekt abgeschlossen sein. Anschließend stehen die Ergebnisse allen interessierten Unternehmen zur Verfügung – denn gute Passform ist das A und O.

Vielen Dank für das Gespräch.