Intelligenz im Schrank

„Unsere Filialen werden grün!“, ist das große Ziel von Textilit Ernsting’s family. Dabei hilft ein kleiner blauer Kasten: Mit der eigens entwickelten Bluebox, einem in der Filiale installierten Energieeffizienzsystem, kann die Unternehmenszentrale alle wichtigen Bereiche wie Beleuchtung, Heizung und Kühlung über das Internet kontrollieren und steuern…

Aus Sicht von Ernsting’s family sind die Bewirtschaftungskosten einer Einzelhandelsimmobilie ein ungehobener Schatz. Kein Wunder: Betrachtet man die Kostenverteilung über den gesamten Lebenszyklus einer solchen Immobilie hinweg, entfallen etwa 70 Prozent auf die Betriebsphase. Ausgaben für Energie machen heute schon den Löwenanteil der Nebenkosten aus – Tendenz steigend. „Angesichts anziehender Energiekosten gewinnt die energetische Betrachtung einer Handelsimmobilie immer mehr an Bedeutung“, sagt Ralf Steppeler, Bereichsleiter Ladenbau bei Ernsting’s family. Immerhin hat das stark expandierende Handelsunternehmen, das sich auf Mode für die ganze Familie spezialisiert hat, über 1.500 Filialen in Deutschland und Österreich. Erklärtes Ziel ist daher eine nachhaltige Einsparung von Energie und Kosten.

Mit diesem Anspruch ist Ernsting’s family nicht allein. Aber der Weg, zu dem sich das Unternehmen entschlossen hat, ist ungewöhnlich. Zum Einsatz kommt eine Software, die von Ernsting’s family mit einem IT-Unternehmen zusammen entwickelt wird, die den Lebenszyklus von Handelsimmobilien komplett abdeckt: von der Standortanalyse und einem Exposé zur Gebäudetechnik über die Verankerung energetischer Kennzahlen und die tägliche Überwachung der Messwerte aller Filialen bis zur Verwertung der Immobilie nach dem Ausscheiden aus dem Standortnetz. Hardware-Kern des Systems und Bindeglied zwischen der jeweiligen Filiale und der Unternehmenszentrale ist ein kleiner blauer Kasten, der etwa so groß ist wie eine Spardose und letztlich auch den selben Zweck erfüllt: die sogenannte Bluebox. Die Firma Digitronic hat das Gerät ursprünglich für die Steuerung und Regelung von Heizungs- und Solaranlagen sowie Blockheizkraftwerken konzipiert und in Zusammenarbeit mit Ernsting’s family für die Anwendung in einer Filiale weiterentwickelt. Mit dieser Bluebox, die seit Anfang 2009 in Filialen der Ernsting’s family im Einsatz ist, lassen sich alle Energieverbräuche einer Filiale nicht nur dokumentieren und kontrollieren, sondern per PC über das Internet auch steuern. Damit hat das Unternehmen nicht nur die zentrale Übersicht über die Filialen, sondern gleichzeitig auch einen dezentralen Zugriff – egal ob es um die Beleuchtung geht, den Türluftschleier oder das umfangreiche Thema Heizung, Lüftung und Klima.

Die Bluebox denkt in sogenannten Szenarien. Für jedes Szenario – zum Beispiel Verkauf, Putzen, Nacht – legt Ernsting’s family für die jeweilige Filiale die gewünschten Parameter fest, beispielsweise die Temperatur und die Beleuchtung; die Bluebox übernimmt dann die entsprechende Steuerung der Haustechnik. „Wenn wir eine Filiale eröffnen, parametrieren wir die ein Mal“, erklärt Thomas Hoffmann, Leiter des Gebäudemanagements bei Ernsting’s family. Nach 14 Tagen werde diese Grundparametrierung überprüft und eine Feinjustierung vorgenommen. Und dann, so Hoffmann, „sollte die Filialtechnik im Laufe ihres Lebenszyklus völlig selbständig funktionieren.“ Ein technischer Mitarbeiter in der Zentrale könne das Gesamtsystem ohne viel Aufwand überwachen und steuern; das technische und betriebliche Facility Management in der Filiale selbst sei damit weitgehend automatisiert. Angst vor fehlender Transparenz in einer solchen fast autark laufenden Filiale hat Steppeler nicht. Alle Verbrauchsdaten werden von der Bluebox kontinuierlich aufgezeichnet und einmal am Tag an die Zentrale geschickt, Abweichungen fallen so schnell auf und können bei Bedarf ebenso schnell behoben werden. „So können sogar nächtliche Aktivitäten in den Filialen festgestellt werden wie z.B. Einbrüche, da die aufgeschalteten Sensoren jede Bewegung feststellen. Das macht so ein System natürlich sehr transparent.“

„Die Beschäftigten in den Filialen sollen sich auf den Verkauf konzentrieren und nicht darauf, wann sie welche Lampe an- oder abstellen sollten“, sind sich Steppeler und Hoffmann einig. Es ist ein bekanntes Problem, dass das sogenannte Nutzer- und Betriebsfehlverhalten die Energieverbräuche in Einzelhandelsunternehmen in die Höhe treibt: volle Verkaufsraumbeleuchtung weit vor und nach den regulären Filialöffnungszeiten, auch am Tag leuchtende Außenbeleuchtung, die ganze Nacht leuchtende Außen- und Schaufensterbeleuchtung, die ständige Beleuchtung von Rückraum und Lager, der gleichzeitige Betrieb von Heizung und Kühlung, zu hohe Raumtemperatur im Winter und zu niedrige im Sommer. „Mit Hilfe von Sensoren und auf Basis der festgelegten Szenarien sorgt die Bluebox für einen automatisierten und energieoptimierten Betrieb“, so Hoffmann – was zum einen die Mitarbeiter vor Ort entlastet, aber auch die Kosten senkt.

Zu den Funktionen der Bluebox gehören nicht nur verschiedene Beleuchtungsszenarien, Stromzähler und Datenlogger, sondern auch die Kundenfrequenzzählung über Bewegungsmelder, eine Feiertagssteuerung sowie An- und Abwesenheitsfunktionen. CO2-Sensoren und Temperaturfühler für Verkaufsfläche, Lager und Außenbereich ermöglichen die automatisierte Steuerung von Heizung, Kühlung und Lüftung. Alle Messgrößen und Anlagenzustände lassen sich jederzeit visualisieren. Und die Entwicklung des Systems geht weiter: Steppeler zufolge sind weitere Funktionen in Vorbereitung, darunter die Steuerung der Zutrittskontrolle mittels eines schlüssellosen Schließsystems inklusive der Verwaltung der berechtigten Personen. Eine weitere Entwickelung beinhaltet die Anbindung der Warensicherung mit Zähl- und Statistikfunktion und den Möglichkeiten für Störmeldungen und stillen Alarmen, sollte z.B. jemand mit einer präparierten Tasche die Filiale betreten. Des Weiteren wird ein Kamerasystem verwendet, das tagsüber lediglich als offene Videoüberwachung und Kundenzähler fungiert, nachts jedoch ein Alarm auslösen und eine Meldung an den Wachdienst senden kann. Zukünftig wird es mit diesem Kamerasystem darüber hinaus möglich sein, ein Objecttracking zu nutzen, das ähnlich wie bei dem Bild einer Wärmebildkamera mit Hilfe farbiger Spuren die betretenen Flächen innerhalb der Verkaufsfläche abbildet, um eine Aussage über Kundenströme und Verweildauer möglich zu machen.

Um die Bluebox einsetzen zu können, installiert Ernsting’s family in jeder neu errichteten oder angemieteten Filiale zunächst die Elektroanlage neu. Im Wesentlichen wird dabei die Unterverteilung standardisiert, beispielsweise die Beleuchtungsstromkreise oder die Sonderstromkreise für die Kasse. Dann wird der Energiekontrollschrank installiert, dessen technisches Herzstück die Bluebox ist – und der bei Bedarf dank der standardisierten Unterverteilung auch in eine andere oder neue Filiale umziehen kann. Wichtig für die erfolgreiche Installation des Energiekontrollsystems sind aber nicht zuletzt die mit der Ausführung beauftragten Handwerker. Ernsting’s family hat nicht nur die Zahl der in den technischen Gewerken eingesetzten Handwerksunternehmen deutlich reduziert, sondern beauftragt im Zuge der Qualitätssicherung nur noch solche Betriebe, die an hauseigenen Schulungs- und Informationsveranstaltungen teilnehmen und ein entsprechendes Ernsting’s-Zertifikat besitzen. Parallel dazu wurden die Abnahmekriterien vereinheitlicht und deutlich verschärft sowie die Verwendung von Formblättern und Checklisten eingeführt.

Der Aufwand lohnt sich. „Allein durch den Einsatz der Bluebox, die Nutzerfehlverhalten ausschließt, haben wir Einsparpotenzial von rund 20 Prozent pro Filiale realisiert“, sagt  Hoffmann. Bis dato wurden in über 550 Filialen Energieeffizienzmaßnahmen durchgeführt, jedes Geschäftsjahr kommen über 220 Filialen hinzu. Das Unternehmen spare dadurch so viel Geld ein, dass sich das Energiekontrollsystem in kürzester Zeit rechne. Steppeler: „Wir heizen, kühlen und lüften zu dem Preis, zu dem wir vorher nur mit Gas oder Öl geheizt haben – Komfortzugewinn in den Filialen inklusive.“ Hinzu kommen weitere energie- und damit kostensparende Maßnahmen: der Einbau monovalenter Raumklimasysteme in ausgewählten Filialen sowie an bislang 460 Standorten der Ersatz der bisher verwendeten 70-Watt-Leuchten durch 35-Watt-Leuchten. Steppeler zufolge will Ernsting’s family jetzt dafür sorgen, „dass wir sukzessive immer mehr Filialen am Netz haben“. Damit die Bewirtschaftungskosten der Immobilien nicht länger ein ungehobener Schatz bleiben.