Mit Kreisläufen CO2 vermeiden

Die Dekarbonisierung bestehender, in vielen Fällen zudem nur gemieteter Filialen ist für Handelsunternehmen eine Herausforderung. Die Drogeriemarktkette dm setzt dafür unter anderem auf Refurbishment-Konzepte und Kreislauffähigkeit.

Bis 2045 soll der Gebäudebestand in Deutschland klimaneutral werden. Für ein Unternehmen ist diese Netto-Null erreicht, wenn es alle vermeidbaren CO2-Emissionen eliminiert hat und nicht vermeidbare Emissionen mit Maßnahmen kompensiert, die über die eigene Wertschöpfungskette hinausgehen. „Dieses Ziel erreichen Handelsunternehmen nur mit einem umfassenden Dekarbonisierungsfahrplan“, sagt Marco Schönaich, Projektleiter Bau bei dm. Dabei ist mit Blick auf Bestandsfilialen die Zeit bis 2045 eher knapp. Zwar haben sich die Renovierungszyklen der Geschäfte im Durchschnitt aller Branchen von 9 auf 7,8 Jahre verkürzt, so die Studie „Trends im Handel 2025“ von EHI, HDE, Kantar TNS und KPMG. Das bedeutet aber auch, dass die Standorte maximal zwei Zyklen haben, um klimaneutral zu werden.

Seit 2011 arbeitet dm daran, seine Filialen auf strombasierte Haustechnik umzustellen, die Beleuchtung auf LED umzurüsten und möglichst viel erneuerbaren Strom einzukaufen oder selbst zu produzieren. Bis 2026 möchte dm alle seine Märkte auf moderne, nicht-fossile Haus- und Energietechnik umgestellt haben und weitere Fotovoltaikanlagen installieren; dafür investiert das Unternehmen in diesem Jahr rund 20 Mio. Euro. Ab 2025 soll außerdem 15 Prozent des Strombedarfs über ein Power Purchase Agreement mit einem Offshore-Windpark in der Nordsee gedeckt werden.

Um an möglichst alle Hebel zu gelangen, mit denen sich CO2 bei der Erstellung sowie im Betrieb reduzieren lässt, hat dm zudem die gesamte bauliche Filiale einer Ökobilanz unterzogen. Kriterien wie Robustheit über den Lebenszyklus, Refurbishment und Kreislauffähigkeit bestimmen seitdem die Beschaffung, erklärt Marco Schönaich. Beim Boden beispielsweise verwendet dm statt Verbundstoffen homogenes PVC. Bei einer Erneuerung kann der Hersteller die alten Beläge zu Granulat schreddern und daraus wieder einen neuen Boden herstellen – der nach Schönaichs Erfahrungen sogar langlebiger ist als ein aus unterschiedlichen Schichten bestehender Belag, unter anderem weil sich Kratzer gut reparieren lassen. Für die Regalierung setzt dm auf ein Stecksystem aus Metall, das sich gut reinigen und in anderer Zusammensetzung oder einer anderen Filiale neu aufstellen lässt; der Ausschuss liegt lediglich bei 10 bis 10 Prozent. Auch für die von dm selbst entwickelten Strahler gibt es wegen der guten Wiederverwendbarkeit inzwischen ein Pool-System: Das Design ist zeitlos und schlicht weiß, der Strahler selbst langlebig, da bei einem Ausfall lediglich der LED-Chip getauscht werden muss und nicht die ganze Leuchte.

Bei der Haustechnik geht dm ebenfalls nachhaltigere Wege. Bei Kälteanlagen achtet das Unternehmen darauf, dass sich die Kältemittel absaugen und nach der Aufbereitung erneut nutzen lassen. Klima und Lüftung sind getrennte Systeme, damit sie bei einem Defekt auch getrennt betrachtet und repariert werden können. Die Türluftschleier sind updatefähig: Statt eines Austauschs können sie ausgebaut, technisch überarbeitet, über eine Folierung mit einem neuen Design versehen und wieder eingebaut werden. Und bei digitalen Lösungen haben sich Schönaich zufolge schon mehrfach die einfacheren Lösungen als robuster und damit weniger störungs- und wartungsintensiv erwiesen – sei es bei elektronischen Etiketten, die am Regal lediglich befestigt und nicht eingebaut werden, oder bei sinnvoll simplifizierten Steuerungssystemen für die Haustechnik.

Ein weiteres großes Thema ist die Gebäudehülle. Deren energetische Qualität und mögliche Sanierungsmaßnahmen werden bei jedem Umbau geprüft. In Aidlingen und Neuried baut das Unternehmen gerade zwei skalierbare Pilotfilialen in Holzbauweise als Muster – um eine möglichst ökologische Form für diese Bauweise zu finden und um im Nachgang Vermietern funktionierende Konzepte vorschlagen zu können. „Wir denken beim Bau schon den Rückbau mit und entwickeln die dafür notwendigen Anleitungen“, so Schönaich. Statt der üblichen kleinteiligen Ständerbauweise beispielsweise, deren Teile wegen der pneumatisch eingeschossenen Nägel und Klammern oft nur noch zersägt und verbrannt werden können, verwendet dm großformatige Module, die sich auseinandernehmen und erneut verbauen lassen. Alle Materialien der Gebäudehülle sollen sich wieder trennen und sortenrein recyceln lassen. Und auch in anderen Bereichen in den Pilotfilialen geht es darum, nachhaltige Baustoffe zu erproben, die dann bei Neu- und Umbauten flächendeckend zum Einsatz kommen können.

Für alle diese Ansätze gilt: Sie sind gesprächsintensiv und bedeuten für die Hersteller mehr Aufwand etwa für die Entwicklung. Andererseits strebt dm langjährige Geschäftsbeziehungen an und braucht dafür Partner, die für das Anliegen des Unternehmens, in allen Bereichen ökologisch zu agieren und emissionsminimierende Verträge abzuschließen, ein offenes Ohr haben. Was auch Vorteile haben kann, erklärt Schönaich: „Kurzfristig gedacht ist es für Unternehmen einfacher, uns ein Standardprodukt zu verkaufen und in zehn Jahren ein neues. Das könnten wir dann aber auch von der Konkurrenz beziehen. Bei gemeinsam entwickelten Refurbishment-Konzepten hingegen können die Hersteller sicher sein, dass es Folgeaufträge gibt.“ Und vielleicht können sie mit solchen Ideen noch weitere Handelsunternehmen gewinnen – das Netto-Null-Ziel ist schließlich eine Aufgabe für die gesamte Branche.

Baustoffe mit Pass

Cradle to Cradle ist ein Konzept für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft, bei dem alle Materialien in geschlossenen technischen oder biologischen Kreisläufen fließen und so wiederverwendet werden können. Das in Hamburg ansässige Forschungs- und Beratungsinstitut EPEA untersucht und bewertet seit 2015 auch Gebäude nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip und erstellt für sie Materialpässe, einen sogenannten „Circularity Passport® - Buildings“. 2023 kam für die Innenraumgestaltung der „Circularity Passport® - Interiors“ hinzu. „Ziel ist, verschiedene Innenraumgestaltungsansätze hinsichtlich ihres ökologischen Fußabdrucks systematisch vergleichen und optimieren zu können und so Abfall zu vermeiden, Ressourcen zu sparen und die Innenraumqualität durch ‘gesunde‘ Materialauswahl zu erhöhen“, so EPEA-Geschäftsführer Markus Diem.

Den Impuls dazu hatte der Re:Think Store von Globetrotter in Bonn gegeben, in dessen Ausstattung fast ausschließlich Elemente von Vormieter Conrad und aus anderen Globetrotter-Filialen verwendet wurden. Der EPEA-Analyse zufolge konnten dank dieses Reuse-Ansatzes im Vergleich zu einer völlig neuen Ausstattung des Ladens 97,15 Prozent CO2-Emissionen vermieden werden. Der „Circularity Passport® - Interiors“ beleuchtet neben dem CO2-Fußabdruck aber auch die Materialgesundheit bei der Verarbeitung und während der Nutzung, die Materialherkunft und die Wiederverwendbarkeit. „Der Pass macht es möglich, die Weiterverwendung und Kreislaufführung von Materialien zu steuern, die zukünftige Demontage und Wiederverwendung zu planen und den CO2-Fußabdruck zu minimieren“, so Diem. „Gebäude müssen in Zukunft als Rohstoffquellen für neue Gebäude fungieren. Der Pass kann ein Management-Tool dafür sein.“